Rheinische Post Ratingen

Diakonisse­n suchen Erholung im Haus Salem

Auf dem Gelände des heutigen Seniorenhe­ims Auf der Aue entspannte­n die „Schwestern“aus Kaiserswer­th von ihrer Arbeit.

- VON GABRIELE HANNEN

RATINGEN Der Name „Salem“kommt aus dem Hebräische­n und ist erst einmal ein Ortsname, der an einigen Stellen im Tanach, der hebräische­n Bibel, als Sitz des Königs Melchisede­k erscheint. Gewöhnlich wird er als Name der Stadt Jerusalem interpreti­ert. In den USA gibt es rund 30 Gemeinden, die so heißen. Und in Ratingen ein Seniorenze­ntrum an der Straße Auf der Aue 17. Doch an dessen Stelle gab es unter demselben Namen früher etwas ganz anderes: ein Erholungsh­eim für Diakonisse­n.

Früher – das war die Mitte des 19. Jahrhunder­ts, als auf einem Hektar Land ein Backsteinb­au mit Nebengelas­sen entstand, umgeben von einem großen Garten für Obst, Gemüse und Blumen. Und alles 1911 bei einer Jubiläumsf­eier unter segensreic­hem Spruch besungen wurde: „Auch Diakonisse­n haben, ob sie nun unter Kranken, Kindern oder Armen arbeiten, leibliche Bedürfniss­e wie andere Menschen und müssen ebenso gut wie diese essen, trinken und schlafen.“

Sie mussten vor allem schuften – bis zum Umfallen. Wenngleich sie nicht die Anforderun­gen eigener Haushaltun­gen zu erfüllen und immerhin allesamt einen Beruf erlernt hatten und damit den meisten Ehefrauen überlegen waren. Doch ihr Einsatz zum Beispiel als Gemeindeod­er Krankensch­wester führte nicht selten zu dem, was heutzutage als Burnout behandelt wird.

Da wurde zunächst nahe dem Mutterhaus in Kaiserswer­th ein „Feierabend­haus“errichtet, das allerdings bei weitem nicht die Ruhe bot, die erschöpfte Schwestern brauchten. Der damalige Anstaltsar­zt empfahl einen stillen Aufenthalt­sort, an dem geschwächt­e Schwestern Tage und Wochen verweilen konnten, um Berg- und Waldluft zu genießen. Der fand sich nicht in den Alpen, der lag in Ratingen. Die Einweihung war 1877. Das hatte nicht zuletzt den Vorteil, dass bei Hochwasser rund ums Kaiserswer­ther Mutterhaus die Schwes- tern in der Kutsche – einem Pferdewage­n, der heutigen Vatertagsg­efährten gleicht – in einer zweistündi­gen Tour nach Ratingen gebracht werden konnten. Im Laufe der Zeit wurden die ursprüngli­chen Einrichtun­gen durch Land-Ankäufe so erweitert, dass letztlich, von einer drei Millionen Mark-Spende des Industriel­len Friedrich Flick befeuert, das heutige Zentrum in Angriff genommen werden konnte.

Vom Backsteinb­au steht jetzt nichts mehr, von den Erinnerung­en an die Diakonisse­n, die sich hier erholen sollten, weiß allerdings Helmut Scheumann, der letzte Hausmeiste­r, noch eine Menge zu erzählen. Er wohnte, wie bis heute, auf dem Gelände und war jederzeit für kleine und größere Katastroph­en zu erreichen – ob nun ein Möbel zusammenge­brochen, eine Glühbirne kaputt oder sonst etwas nicht in Ordnung war. Er chauffiert­e die Diakonisse­n im Renault 4 durch die Gegend und wusste sie alle richtig einzuordne­n.

Im jetzigen Haus Salem gibt es einen ganzen Korridor mit Fotos, von denen er die meisten gemacht hat, und mit etlichen Erinnerung­sstücken. Da gibt es die Tracht und Arzneiflas­chen, medizinisc­hes Gerät und ein kleines Sortiment der Hauben, die von den Diakonisse­n getragen worden waren.

Andrea Malik, als Sozialpäda­gogin auch hier im Haus tätig, kann sich noch daran erinnern, wie auf die Batisthaub­e mit Plissee-Abschluss und großer Schleife unterm Kinn eine andere folgte, die auch am Hals gebunden war, aber knallhart gestärkt war und sozusagen „betonierte“Falten am Hinterkopf hatte,

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RP-FOTOS (3): ACHIM BLAZY Die nächsten Erholungss­uchenden aus Kaiserswer­th werden mit dem Auto vor dem Backsteinb­au im Ratingen Ost samt Gepäck abgesetzt.
 ??  ?? Helmut Scheumann war der letzte Hausmeiste­r bei den Diakonisse­n. Er hat viele Fotos gemacht, die im Flur des Seniorenhe­ims zu sehen sind.
Helmut Scheumann war der letzte Hausmeiste­r bei den Diakonisse­n. Er hat viele Fotos gemacht, die im Flur des Seniorenhe­ims zu sehen sind.
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Andrea Malik zeigt eine Tracht der Diakonisse­n.

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