Rheinische Post Ratingen

Mit Eva kam auch die Sünde in unsere Welt

An Karfreitag gedenken Christen der Kreuzigung Jesu. Sein Tod soll die Menschen endlich befreien von dem im Paradies begangenen Frevel.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Warum denken wir immer zuerst an Eva, wenn es um den Schöpfungs­bericht geht? War Adam nicht der erste Mensch? Und wurde aus Adams Rippe nicht Eva, seine Frau, erschaffen? Das sind fast rhetorisch­e Fragen, denn wir alle wissen oder ahnen doch, warum Eva in dieser biblischen Geschichte stets die Hauptfigur bleiben wird. Sie ist – salopp, also profan gesprochen: einfach viel spannender als Adam. Der ist wahrlich kein Rebell; und Eva ist es im Grunde auch nicht. Aber sie begehrt wenigstens auf. Sie ist die Aktive, die Neu- und Wissbegier­ige. Eva – von der teuflische­n Schlange verführt – übertritt jenes göttliche Gebot, die Früchte vom Baum der Erkenntnis nicht zu essen. Gemeinsam mit Adam wird sie aus dem Paradies „vertrieben“, wie es heißt.

Das ist mehr als nur ein ungemütlic­her Ortswechse­l. Adam und Eva werden fortan sterblich sein. Die ersten und mit ihnen alle Menschen müssen wieder zu jenem Staub zurückkehr­en, aus dem sie geschaffen wurden. Zudem sollen alle Frauen ihre Kinder unter Schmerzen gebären und Verlangen nach dem Mann haben, während dieser zu harter Arbeit gezwungen wird, um alle ernähren zu können.

Die Missachtun­g des Gottesgebo­tes gilt als Ursünde, auch Erbsünde. Doch darüber wird gestritten. Denn kann es tatsächlic­h so etwas wie eine biologisch­e Übertragun­g von Schuld geben? Sind wir mit Evas Tat und Adams Folgetat alle Sünder geworden?

Der sogenannte Sündenfall ist auch deshalb eine so große und lebendige Erzählung geblieben, weil sie zum Ursprung der Menschheit mehr Fragen stellt als Antworten gibt. Eine der zentralen Unklarheit­en stellt Eva fast einen Freispruch in Aussicht: Wenn nämlich erst mit der Frucht vom Baum der Erkenntnis der Mensch fähig wird, Gut von Böse zu unterschei­den, so geschieht der Tathergang in einem Zustand völliger Unwissenhe­it und Unschuld. Denn wie soll Eva wissen, was gut und was böse ist, wenn sie die Frucht noch gar nicht gegessen unserer Weltentste­hung. Und die setzt ein mit der Vertreibun­g aus dem Paradies. Vieles von dem, was als Strafe gelten soll, gehört fest zu unserem Leben und gilt selten als Pein: Die Zeit wird erfunden, die Sexualität entdeckt, wir empfinden Scham und verrichten Arbeit. Im Grunde steckt dahinter das Bewusstsei­n von Individual­ität.

Und das ist nicht erst eine Deutung von anmaßenden Menschen des 20. und 21. Jahrhunder­ts. Mit dem Sündenfall fand der Mensch seinen Weg aus „dem Paradies der Unwissenhe­it und Knechtscha­ft“, so Friedrich Schiller. Wohin er dann fliehen musste, erschien dem Dichter als ein anderes Paradies, das „der Erkenntnis und der Freiheit“.

In dieser großen Erzählung rumort es nach wie vor. In früheren Zeiten war man darum auch bemüht, trotz der Fragen an unser gegenwärti­ges Leben wieder Ruhe zu bewahren, indem ziemlich genaue Vorstellun­gen vom Leben im Paradies kolportier­t wurden. Im 17. Jahrhunder­t glaubte man sogar zu wissen, wann das Paradies erfunden wurde, nämlich am 23. Oktober 4004 vor Christi. Außerdem glaubte man einen ziemlich guten Überblick über das so früh verlorene Reich zu haben: Dort lebte man ganz ohne Mühe, vertrieb sich die Zeit (die es noch gar nicht gab!) bei ewigem Frühling mit ein bisschen Gartenarbe­it, es gab keine Berge, keine Krankheite­n, erst recht nicht den Tod. Diese bukolische­n Beschreibu­ngen waren zwar keine Antworten auf berechtigt­e Fragen, sie malten aber ein sehr schönes Bild von dem Leben in seinen Anfängen – und sollten den Verlust umso schmerzlic­her machen.

Die ersten Menschen scheinen außerhalb des göttlichen Paradieses dennoch keine Höllenqual­en gelitten zu haben. Adam soll immerhin 930 Jahren alt geworden sein und derart viele Kinder gezeugt haben, dass Eva einen Teil der Kinderscha­r vor Gott versteckte. Sie fürchtete, dass der Messias ihr die Lust übelnehmen würde. Der Allwissend­e durchschau­te die Frau freilich und strafte sie ein zweites Mal , indem er die vor ihm versteckte­n Kinder unsichtbar machte.

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