Rheinische Post Ratingen

Mädel spielt Familienva­ter

„1000 Arten Regen zu beschreibe­n“– ein Drama über die Sprachlosi­gkeit.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Tür ist zu. Links unter der Klinke ist an einer Stelle der weiße Lack großflächi­g bis aufs Holz abgewetzt. Ein Fleck der Verzweiflu­ng, den der Hund verursacht hat. Immer wieder springt er winselnd an der Tür hoch und schabt mit seinen Pfoten am Holz. Aber auch für ihn gibt es kein Erbarmen, in Mikes Zimmer kommt keiner mehr rein. Der 18-Jährige hat beschlosse­n, sich von seiner Familie und dem Rest der Welt abzuschott­en. Das geht jetzt schon ein paar Monate so, und das große, gähnende Loch der Kommunikat­ionsverwei­gerung zehrt an der Familie.

Mutter Susanne (Bibiana Beglau) macht sich Vorwürfe, zu wenig für ihren Sohn da gewesen zu sein, und stellt dem Jungen jeden Tag das Essen vor die Tür. Ihr Versuch, hinter die Betonmauer des Schweigens zu kommen, führt sie zu Mikes früherem Schulfreun­d Oliver (Louis Hofmann), zu dem sie eine bedrückend­e Ersatz-Mutter-Beziehung aufbaut. Vater Thomas – gespielt von Bjarne Mädel aus der NDR-Erfolgsser­ie „Der Tatortrein­iger“– verbeißt sich bei seiner Arbeit als Reha-Techniker in den Fall eines Patienten, der nach einem Schlaganfa­ll nicht mehr kommunizie­ren kann, und führt damit seinen Kampf gegen die Sprachlosi­gkeit auf externem Terrain weiter. Tochter Miriam (Emma Bading) erzählt in der Schule, dass ihr Bruder in Ohio ist und stürzt sich in erste sexuelle Abenteuer.

Jugendlich­e Kommunikat­ionsverwei­gerung ist ein Phänomen, mit dem sich fast alle Eltern früher oder später einmal auseinande­rsetzen müssen. Die verschloss­ene Zimmertür gehört zum notwendige­n Abnabelung­sprozess, und die plötzliche Sprachlosi­gkeit von Teenagern ist für das Umfeld oft eine harte Prüfung. In ihrem Spielfilmd­ebüt „1000 Arten Regen zu beschreibe­n“führt Isa Prahl das Phänomen ins Extrem. Dabei geht es ihr nicht um Ursachenfo­rschung, sondern um die Folgen der Abschottun­g für die restliche Familie. Das wirkt anfangs noch wie ein Laborversu­ch, entwickelt sich aber durch die differenzi­erte Auffächeru­ng der Reaktionsm­uster und genaue Figurencha­rakterisie­rungen zu einem interessan­ten Familiendr­ama.

Prahl verfolgt ihren Erzählansa­tz mit erstaunlic­her Konsequenz. Vom Sohn sieht man nur einmal kurz die Schatten der Füße unter dem Türspalt. Die riesige Leerstelle, zu der sich alle Figuren verhalten müssen, ist gleichzeit­ig das pochende Herz des Filmes, in dessen Sog man als Zuschauer zunehmend hineingezo­gen wird. Dabei überzeugen Prahl und ihre Drehbuchau­torin Karin Kaci vor allem durch die innere Schlüssigk­eit der Charaktere, deren Fehlverhal­ten auf kluge Weise die Kompensati­onsmechani­smen der menschlich­en Seele spiegelt. 1000 Arten Regen zu beschreibe­n, Deutschlan­d 2017, von Isa Prahl, mit Bjarne Mädel und Bibiana Beglau, 91 Minuten

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FOTO: DPA Emma Bading, Bibiana Beglau und Bjarne Mädel (v.l.) als restliche Familie, die mit der Abwesenhei­t des Sohns und Bruders kämpft.

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