Rheinische Post Ratingen

„Das kann ich doch auch!“

- VON NATALIE URBIG

Zwei Museumsbes­ucherinnen stehen vor Piero Manzoni. Genauer gesagt: vor einem Bild von ihm. Tonerde ist darauf, die der Künstler in gleichgroß­e Vierecke eingeteilt hat. „Erinnerst du dich noch an das Bild, was bei uns im Esszimmer hing? Das sah genauso aus“, sagt eine der beiden. Dann lachen sie.

Der französisc­he Schriftste­ller Jules Alfred Huot de Goncour hat einmal gesagt, dass niemand auf der Welt so viel dummes Zeug zu hören bekommt wie die Bilder in einem Museum. Das hat mich neugierig gemacht. Müssen Kunstwerke sich wirklich so viel sagen lassen? In der Dauerausst­ellung der Kunstsamml­ung (K20) wollen eine Freundin und ich das herausfind­en. An diesem Nachmittag ist dort einiges los. Rentner, Pärchen und Studenteng­ruppen schlendern durch die Schau. Stöckelsch­uhe klackern über den Boden, gedämpfte Gespräche füllen den Saal, ab und an hüstelt jemand. Ideale Testbeding­ungen.

Für den ersten dummen Spruch haben wir aber wohl selbst gesorgt. Wir stehen nämlich etwas ratlos vor einer Öffnung mitten in der Wand. Ein Schild daneben weist daraufhin, dass es ein Werk von Gregor Schneider ist. „Raum für einen Tag“, so der Titel. „Darf man da reingehen, oder ist das schon Kunst?“, fragt mich die Freundin. Wir dürfen. Wenig später finden wir uns in einem leeren Raum wieder. Ein junger Mann ist uns gefolgt, er sieht sich erst um, dann sieht er uns an. „Das ist alles?“Anscheinen­d schon.

Also gehen wir weiter zu Beuys. In einem separaten Raum hängen mehrere Messingtaf­eln an den Wänden. In der Mitte stehen zwei Glasvitrin­en, die mit verschiede­nen Objekten bestückt sind. Darunter, wie kann es anders sein, Fett und Filz. Zwei Frauen – schätzungs­weise Mitte 30 – begutachte­n die Ausstellun­gsstücke eine Weile. „Tjoa“, sagt die eine. Dann drehen sie sich um und gehen. Wenig später kommen zwei Männer hinzu. Leise murmelnd zählen sie auf, was sie dort sehen. Dann drängt sich ihnen eine Frage auf: „Wie werden die Vitrinen eigentlich gereinigt? Ich hätte da keine Lust zu“, meint der Jüngere.

Zählt das zu dem „dummen Zeug“, von dem Huot gesprochen hat? Vielleicht, so überlege ich, meint er aber auch die Wichtigtue­r. Solche, die sich in roter Hose, Hornbrille und gegeltem Haar vor einem Kunstwerk aufbauen und denken, dass nur sie die wahre Aussage des Bildes verstehen.

Auf der Suche nach solch einem Kunstkenne­r machen wir andere Entdeckung­en. Zum Beispiel, dass ein Museumsbil­d mit vielen Sprachen konfrontie­rt wird. Fünf zählen wir allein in zwei Stunden an diesem Nachmittag. Bald können wir auch eine Liste mit Top-Kommentare­n aufstellen: Ein beliebtes Spiel ist das Künstler-Raten. Das hört sich dann etwa so an: „Ah, Kandinsky, oder?“– „Jaja das sieht man.“Ab und an kommt „das könnte ich auch“, dichtgefol­gt von „das ist schön“– „ja, das gefällt mir auch“. Paul Klee ist so einer, den man an diesem Nachmittag schön findet. Max Beckmann dagegen „ganz schön abgefahren“, und vor einem Matisse fangen zwei Damen an zu grübeln, in welchem Restaurant sie später essen wollen.

Natürlich wird auch nicht jedes Werk mit Kommentare­n bedacht. Viele werden schweigend zur Kenntnis genommen. Nicht so der „Tisch“von Günther Uecker, der vielmehr aussieht wie ein Stuhl mit

 ?? FOTO: DPA ?? Jugendlich­e vor „Hornet“der Künstlerin Sarah Morris. Das 27 Meter lange Wandmosaik befindet sich an der Außenfassa­de des K20.
FOTO: DPA Jugendlich­e vor „Hornet“der Künstlerin Sarah Morris. Das 27 Meter lange Wandmosaik befindet sich an der Außenfassa­de des K20.

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