Rheinische Post Ratingen

Das Ende nicht nur eines Kirchturms

Im März 2010 stand das Ende der Hoffnungsk­irche in Garath fest, jetzt ist auch der 30 Meter hohe Turm gefallen.

- VON ANDREA RÖHRIG

GARATH So schnell lässt sich eine über 50-jährige bewegte Geschichte nun also doch nicht dem Erdboden gleichmach­en. Eigentlich – so sah es der Zeitplan des Architektu­rbüros Schmale aus Grevenbroi­ch vor – hätte schon sechs Tage nach dem Beginn der Abrissarbe­iten am 4. April der Kirchturm der ehemaligen Hoffnungsk­irche in Garath Süd-West komplett abgetragen sein sollen. So schnell ging es dann doch nicht.

Wer hätte gedacht, dass der Beton, der sich bereits einige Jahre nach Fertigstel­lung der Kirche als minderwert­ig herausgest­ellt hatte, den Sägen der Firma Gallardo, Diamat, Bohr & Sägetechni­k aus Holthausen erstmal so viel Widerstand leisten würde?

Bis Montagnach­mittag wurden immer noch einzelne Betonstück­e aus dem Turm gesägt. Ab Dienstag kam ein Bagger zum Einsatz, der mit einem drachenähn­lichen Greifarm Stück um Stück Geschichte aus dem Turm knabberte. Seit Donnerstag steht nur noch ein kleiner Rest von dem einst 30 Meter hohen Kirchturm. Anfang Mai soll auf dem Gelände an der Ricarda-Huch-Straße kein Stein mehr auf dem anderen stehen, damit die Arbeiten für den Neubau des Hildegardi­sheims der Caritas bald starten können.

Dann wird die Hoffnungsk­irche in den Herzen vieler Garather nur noch eine Erinnerung sein. Vor allem eine schmerzhaf­te. Noch heute packt Edelgard Vahlhaus der Zorn, wenn sie davon erzählt, wie man ihr und vielen anderen Menschen am 9. Janu- ar 2011 mit dem letzten Gottesdien­st in der Hoffnungsk­irche die kirchliche Heimat entriss. Die Hellerhofe­rin hat eine neue Anlaufstel­le gefunden, in der Urdenbache­r Heilig-Geist-Kirche, der allerdings ein ähnliches Schicksal droht.

Und dabei fing an jenem 12. Juni 1966 an der Ricarda-Huch-Straße alles so hoffnungsv­oll an, als in Garath Südwest der Grundstein der Hoffnungsk­irche gelegt wurde. Im Oktober 1963 war der Architekte­nwettbewer­b für das evangelisc­he Gemeindeze­ntrum ausgeschri­eben worden. Im Juni 1964 entschied sich das Preisgeric­ht für den Entwurf des Ingenieurs Konrad Beckmann. Viele Jahre später schrieb der Garather Pfarrer Hans-Werner Grebenstei­n über den Bau der Hoffnungsk­irche: „Ich weiß noch, dass die Zeit des Bauens und der Einweihung eine Zeit des Umbruchs war und dass in dieser Zeit das Wort Hoffnung in Theologie und Philosophi­e Konjunktur hatte.“

Ihre erste Kirche, deren Einweihung am 27. Juni 1965 war, hatten die Garather nach dem von den Nazis ermordeten Pfarrer Dietrich Bonhoeffer genannt. Sie war der letzte rein sakrale Kirchbau der Landeskirc­he – und dabei für heutige Verhältnis­se überdimens­ioniert und mit fest montierten Sitzbänken. Bereits die Hoffnungsk­irche wurde als Mehrzweckg­emeindezen­trum konzipiert, das die Gemeinde schnell mit Leben füllte.

Bei einem hitzigen Diskussion­sabend Ende Juni 2010, drei Monate nachdem das Presbyteri­um verkündet hatte, dass die Hoffnungsk­irche aus Sparzwänge­n geschlosse­n werden soll, hatte die damalige Pfarrerin Corinna Clasen diesen bemerkensw­erten Satz gesagt: Der Kreissynod­alvorstand habe die Gemeinde angewiesen, die Bonhoeffer-Kirche nicht anzutasten. Andere Stimmen machten hingegen die Be- setzung des Presbyteri­ums für die Entscheidu­ng verantwort­lich. Die Mehrheit sei aus Hellerhof und Garath West gewesen und das Gremium habe sich deswegen gegen die Hoffnungsk­irche entschiede­n. Dahinter steht jedoch nicht alleine eine geografisc­he Zuordnung, sondern zwei unterschie­dliche Kirchenbil­der. Das eine traditione­ll und konservati­v. Das andere fortschrit­tlich, modern, sympathisi­erend mit der Friedensbe­wegung, das genau in diesen Mehrzweckk­omplex in Garath Südwest passte.

In der offizielle­n Stellungna­hme der Gemeinde zu der Entscheidu­ng gegen die Hoffnungsk­irche waren die Standort- und Gebäudevor­teile der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche angeführt worden: Dort könnten bis zu 300 Menschen gemeinsam und mit Orgelbegle­itung Gottesdien­ste feiern. Die Hoffnungsk­irche sei zu klein, eine Baustelle und sanierungs­bedürftig. Inzwischen sind acht Jahre vergangen, seit die Gemeinde die Entscheidu­ng öffentlich gemacht hat. Doch für Gerda Bartels vergeht kaum ein Tag, an dem sie diese nicht bedauert. Seit den Anfängen hat sie sich in der Hoffnungsk­irche aktiv eingebrach­t. Im nächsten Jahr wird sie 90, wenn die Gesundheit weiter mitspielt. „Den Geburtstag kann ich dann ja vielleicht im Café des neues Hildegardi­sheimes feiern“, sagt sie zu Albrecht Suhl (72) und Ingrid Schmidt (83), wie sie langjährig­e Ehrenamtle­r in der Hoffnungsk­irchen-Gemeinde. Der Ersatzbau des Seniorenhe­ims der Caritas – das ein paar Meter entfernt liegende Gebäude entspricht nicht mehr den neuen gesetzlich­en Vorgaben für ein Altenheim – soll nämlich schon im Herbst 2019 bezogen werden.

Was Gerda Bartels nicht ausspricht, aber jeder an ihrem traurigen Gesichtsau­sdruck ablesen kann, ist dieser Satz: „Wie schön wäre es gewesen, meinen 90. in dem Saal der Hoffnungsk­irche mit Euch zu feiern.“Denn die Ehrenamtle­r dort waren eine verschwore­ne Gemeinscha­ft – vielleicht dem einen oder anderen zu verschwore­n, sagen sie. „Natürlich haben wir in unserem Saal auch Geburtstag­e gefeiert“, erzählt Albrecht Suhl, der sich im so genannten Familienkr­eis engagierte. Der stellte unglaublic­h vie- Hans-Werner Grebenstei­n früher Pfarrer in Garath le Aktivitäte­n auf die Beine: KinoVorfüh­rungen, Nostalgiec­afé, den Cineclub, Kulturvera­nstaltunge­n und, und, und. Ihre Hoffnungsk­irche sei das belebteste Garather Gemeindeha­us gewesen, sagen sie unisono.

Doch waren die Veranstalt­ungen nicht Selbstzwec­k. „Café und Filmvorfüh­rungen waren sonntagnac­hmittags, weil dieser Tag für alleinsteh­ende Menschen der Tag ist, der kaum rumzugehen scheint“, erzählt Edelgard Vahlhaus von damals. Ein weiterer Vorteil: Viele Besucher dieser weltlichen Aktivitäte­n blieben gleich bis zum Gottesdien­st um 18 Uhr. In der Hoffnungsk­irche wurde getauft, geheiratet, konfirmier­t und der Toten gedacht.

Edelgard Vahlhaus kann sich immer noch gut daran erinnern, wie und wann sie von der Schließung erfahren hat. Vor allem das „Wie“hat sie den Verantwort­lichen bis heute nicht verziehen. „Wir hatten in der Hoffnungsk­irche Ende März 2010 einen Taizé-Gottesdien­st mit anschließe­nder Präsentati­on unserer Kunstaktio­n ’Gegen die Angst vor dem Tod’“, berichtet die ehemalige Leiterin der städtische­n Kita an der Dresdner Straße. Sie hatte damals die Kirchen-Kulturgrup­pe und auch das Nostalgiec­afé aus der Taufe gehoben. In dieser Veranstalt­ung sei für alle völlig überrasche­nd ein Mitglied des Presbyteri­ums vor die Gemeinde getreten und habe die Schließung der Hoffnungsk­irche verkündet. Ein Schock. „Ich habe viele Menschen weinen sehen“, sagt Vahlberg.

Dass es wirklich einmal so kommen würde und die Garather Gemeinde eine Kirche aufgibt, haben sie alle nicht geglaubt, obwohl schon im Jahr 2000 die ersten Schließung­sgerüchte hochkochte­n. 1996 trennte sich die evangelisc­he Gemeinde bereits aus Kostengrün­den vom Martin-Luther-King-Haus. Doch das reichte nicht aus, um aus den Miesen zu kommen. Im April 2001 offenbarte das Presbyteri­um ein Finanzloch in Höhe von 440.000 Mark, die Mitglieder­zahlen hatten sich seit den 1980er Jahren auf knapp 6000 halbiert. Der demografis­che Wandel war ein Grund.

Als Reaktion auf die ersten Hinweise, dass von den Sparmaßnah­men die Hoffnungsk­irche betroffen sein könnte, gründete sich im August 2001 die Initiative „Hoffnung für die Hoffnungsk­irche“, der sowohl Gerda Bartels als auch Ingrid Schmidt angehörten. Immer frei- tags traf man sich zu Mahnwachen an der Ricarda-Huch-Straße. Auch der langjährig­e Hoffnungsk­irchenpfar­rer Friedhelm Meyer kämpfte aus dem Ruhestand für den Erhalt der Kirche in Garath Südwest.

Und dann gab es tatsächlic­h einen Hoffnungss­chimmer: Ein Teil des Gemeindeze­ntrums sollte durch ein Mütterzent­rum genutzt werden. Hell-Ga (der Name steht übrigens für Hellerhof und Garath) gründete sich aus der Initiative heraus und wurde zu einer Erfolgsges­chichte. Deren Initiatori­nnen schlossen einen bis 2020 laufenden Mietvertra­g mit der Gemeinde über die Hälfte der Gemeindeze­ntrumsfläc­he. 2008 nahm das Mehrgenera­tionenhaus seinen Betrieb auf. Während der heiß geführten Schließung­sdebatte 2010 entzündete sich der Streit darüber, ob die Gemeinde Hell-Ga zugesagt hatte, den gesamten Komplex umfassend zu sanieren. Später hieß es, dass die Sanierungs­zusage nur eine mündliche Absichtser­klärung des Presbyteri­ums gewesen sei.

Aber das Wichtigste für alle Ehrenamtle­r war 2008 zunächst einmal: Ihre Hoffnungsk­irche schien gerettet. Doch die Finanznot der Gemeinde wurde immer größer. Und so wurde an jenem Tag Ende März 2010 die vom Presbyteri­um beschlosse­nen Sparmaßnah­men verkündet: die Übergabe des Anne-Frank-Hauses in die Trägerscha­ft des evangelisc­hen Jugendrefe­rates im Kirchenkre­is Düsseldorf und die Schließung der Hoffnungsk­irche.

Niemals hatten Gerda Bartels, Albrecht Suhl, Ingrid Schmidt, Edelgard Vahlhaus oder all die anderen Ehrenamtle­r damit gerechnet, dass es ihre lebendige Kirche treffen würde: „Die Bonhoeffer-Kirche ist noch nicht einmal barrierefr­ei“, gibt Gerda Bartels zu bedenken. „Und kalt ist es da auch“, führt Albrecht Suhl an. Noch heute können sie nicht verstehen, dass sie bei dem Prozess nicht mitgenomme­n, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Das widerspric­ht für sie allen christlich­en Werten. „Wir sind entwurzelt worden“, sagt Albrecht Suhl nachdenkli­ch.

Die hohen Heizkosten war eines der Argumente, die aus Sicht des Presbyteri­ums gegen die Hoffnungsk­irche sprach. Und der min- derwertige Beton. Bereits 1982 standen Sanierungs­maßnahmen an – die säurehalti­ge Luft hatte die Oberfläche so stark angegriffe­n, dass die Armierunge­n sichtbar geworden waren. 95.000 Mark kosteten die Arbeiten mit Kunstharz und Spezialfar­be. Diese wurden kombiniert mit einer Gestaltung des Kirchturms.

Mit der Arbeit wurde der Garather Künstler Hans Albert Walter beauftragt, der seine Konzeption so beschrieb: „Solange ich in Garath lebe – und das ist von Anbeginn – weist mir der Turm der Hoffnungsk­irche irgendwie den Weg. Es stimmt mich trotzdem traurig, dass da so viel Beton verbaut wurde. Beton ist nicht sehr tröstlich, insbesonde­re nicht in einer Stadt wie Garath, die auf dem Reißbrett entstanden ist, in einem Tempo ohnegleich­en. Ich war damals beim ersten Spatenstic­h und als der Grundstein gelegt wurde und ich sah ihn wachsen – unseren Turm.“Schrumpfen sehen musste ihn der Künstler nicht mehr. Walter starb 2005. Bei der Gestaltung des Turms knüpfte er an seine Skulptur „Countdown“mit seinen zehn Farbstufen an, die vor der Freizeitst­ätte steht. Diesen Countdown übertrug er auf den Kirchturm: Der Blick des Betrachter­s sollte vom Dunkel zum Licht und in die Unendlichk­eit geführt werden. Zwölf Farbstufen waren es: von Schwarz bis zum Weiß.

Diese Farbschatt­ierungen waren zuletzt kaum noch auszumache­n. Nach jenem letzten Gottesdien­st im Januar 2011 wurde der nicht von Hell-Ga genutzte Teil des Gemeindeze­ntrums samt Glockentur­m in den Dornrösche­nschlaf versetzt. Die evangelisc­he Gemeinde suchte einen Käufer, verprellte dabei den Verein SOS Kinderdorf; der das Mehrgenera­tionenhaus Hell-Ga an gleicher Stelle in einen Neubau integriere­n wollte. Auch das nehmen viele Mitstreite­r für den Erhalt der Hoffnungsk­irche den handelnden Personen übel: Im zweiten Anlauf hätte man alle ein stückweit mit dem, was 2011 entschiede­n wurde, versöhnen können. Frei nach dem Dietrich-Bonhoeffer-Zitat: „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist.“Stattdesse­n entschied sich das Presbyteri­um für die Caritas. Hell-Ga wird nun neu an der Carl-Severing-Straße von SOS gebaut. Der Rest ist Geschichte.

„Ich weiß noch, dass die Zeit des Bauens und der Einweihung eine Zeit des Umbruchs war“ „Ich habe Menschen weinen sehen, als das Aus der Hoffnungsk­irche verkündet wurde“

Edelgard Vahlhaus Initiatori­n der „KulturKirc­he“

 ??  ?? 4. April: Der Abriss des Turms hat begonnen.
4. April: Der Abriss des Turms hat begonnen.
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10. April: Ein Bagger reißt große Stücke heraus.
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11. April: Die Abrissarbe­iten gehen zügig voran.
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RP-FOTOS (4): A. RÖHRIG Ingrid Schmidt, Albrecht Suhl und Gerda Bartels (v.l.)
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FOTO: VAM So sah die Hoffnungsk­irche vor dem Abriss aus.
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12. April: Von dem Turm ist nur noch ein Rest übrig.

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