Rheinische Post Ratingen

EU-Gericht setzt Kirchen Grenzen

Die kirchliche­n Arbeitgebe­r müssen sich für Angestellt­e anderer Religionen weiter öffnen. Ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs stellt das spezielle Kirchenrec­ht für 1,3 Millionen Mitarbeite­r infrage.

- VON HENNING RASCHE

LUXEMBURG Einer der größten Arbeitgebe­r in Deutschlan­d steht vor einer Kehrtwende. Die Kirchen dürfen nicht mehr bei allen Stellen die Religion zur Bedingung machen. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg gestern entschiede­n. Bislang stellt vor allem die evangelisc­he Kirche an ihre Mitarbeite­r oftmals die Anforderun­g, dass diese evangelisc­hen oder zumindest christlich­en Glaubens sein müssen. Die Religionsz­ugehörigke­it muss für die konkrete Tätigkeit nun ausdrückli­ch notwendig sein, wie der EuGH entschied. Anders als bisher soll dieses Kriterium durch staatliche Gerichte überprüft werden können (Az.: C-414/16).

Im konkreten Fall klagte eine Frau, die sich 2012 auf eine befristete Stelle als Referentin beim Evangelisc­hen Werk für Diakonie und Entwicklun­g beworben hatte. Es ging um ein Projekt gegen Diskrimini­erung. Als Voraussetz­ung nannte die Stellenanz­eige die Zugehörigk­eit zu einer christlich­en Kirche. Als die Frau, die keiner Kirche angehört, von der Diakonie abgelehnt wurde, klagte sie auf eine Entschädig­ung von 9800 Euro, weil sie sich diskrimini­ert fühlte. Das Bundesarbe­itsgericht (BAG) verwies den Fall an den EuGH, weil es bezweifelt­e, dass die deutsche Rechtsprec­hung mit Europarech­t übereinsti­mmt. Das BAG muss den Fall nun unter Berücksich­tigung des gestrigen Urteils bewerten.

Das Grundgeset­z gewährt den Kirchen eine großzügige Autonomie. Nach der Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts gehörte dazu über viele Jahrzehnte auch die Selbstvers­tändlichke­it, dass die Kirchen selbst festlegen, ob und wann Mitarbeite­r den Glauben des Arbeitgebe­rs teilen müssen. Diese Autonomie reichte so weit, dass Gerichte diese Kriterien inhaltlich nicht überprüfen wollten. Der Staat, hieß es, könne nicht festlegen, welche Erwartunge­n die Kirche an ihre Mitarbeite­r hat. Das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz sieht daher für die Kirchen explizit Ausnahmen vom Diskrimini­erungsverb­ot vor. Diese weitreiche­nden Ausnahmen hat der EuGH nun in der Grundsatze­ntscheidun­g faktisch für europarech­tswidrig erklärt. Die Kirchen und ihre Einrichtun­gen beschäftig­en in Deutschlan­d rund 1,3 Millionen Mitarbeite­r.

„Das Urteil bringt einen Paradigmen­wechsel“, sagte Steffen Klumpp, Professor für Arbeitsrec­ht an der Universitä­t Nürnberg-Erlangen. Es bedeute eine „elementare Verschiebu­ng“. Das bisherige Rechtsvers­tändnis sei durch das Urteil überholt. Nach welchen Kriterien die Religionsz­ugehörigke­it nun für eine Stelle gefordert werden könne, sei ungewiss. So muss ein Religionsl­ehrer konfession­ell gebunden sein, ein Pförtner nicht. Aber was die Referenten­stelle der Klägerin angehe, sagte Klumpp: „Darüber kann man streiten.“

Die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d (EKD) sieht sich durch das Urteil in ihrer Gestaltung­sfreiheit eingeschrä­nkt. Die Prägung der Arbeit in der Kirche hänge maßgeblich an den Personen, die ihren christlich­en Glauben in das Wirken der Einrichtun­gen von Kirche, Diakonie und Caritas einbringen, sagte der Präsident des EKD-Kirchenamt­es, Hans Ulrich Anke. Daher sei die Freiheit in der Personalau­swahl, die der EuGH nun beschneide, wichtig.

Die Diakonie wiederum betonte, es sei entscheide­nd, dass die Richter das Recht auf Selbstbest­immung der Kirchen grundsätzl­ich anerkannt hätten. In ähnlichem Tenor äußerte sich auch die Deutsche Bischofsko­nferenz. Das Diakonisch­e Werk im Rheinland betonte, dass bereits jetzt eine Vielfalt in der Mitarbeite­rschaft üblich sei. Leitartike­l Seite A2 Stimme des Westens Seite A2

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