Rheinische Post Ratingen

Tschüss, Schnuller

Soll der Schnuller abgelegt werden, können Eltern mit ihren Kindern sogenannte Schnullerb­äume aufsuchen. Die Idee kommt aus Dänemark und soll die Entwöhnung erleichter­n. Auch im Tierpark Odenkirche­n gibt es einen solchen Baum.

- VON MARLEN KESS

MÖNCHENGLA­DBACH Auf den letzten Metern scheint das Vorhaben von Familie Binder zu scheitern. Mit Louniz sind Mutter Tanja und Vater Andy im Tiergarten Odenkirche­n in Mönchengla­dbach. Der Zweijährig­e ist aufgeregt, zeigt auf den Luchs im Käfig und auf einen freilaufen­den Pfau. Dann will er auf den Arm – und stellt die gefürchtet­e Frage: „Wo ist denn mein Nucki?“Die Familie ist heute nicht einfach so hier. Sie hat ein Ziel: den Schnullerb­aum.

Wie bei vielen Kleinkinde­rn steht bei Louniz die Entwöhnung vom Schnuller an. Damit ihm das leichter fällt, hat sich die Familie entschiede­n, den Schnullerb­aum zu nutzen. Daran können Kinder ihre Schnuller aufhängen, dazu gibt es eine Geschichte, um den Abschied zu erleichter­n. Mal kommt die Schnullerf­ee und bringt den Schnuller anderen Kindern, mal passt – wie bei Louniz – das Borussia-Maskottche­n Jünter ab jetzt darauf auf. Die Idee kommt aus Dänemark. Schon in den 1920er Jahren wurde der erste Baum dieser Art auf der dänischen Insel Thuro aufgestell­t. Mittlerwei­le ist die spielerisc­he Entwöhnung auch in Deutschlan­d verbreitet: Ähnliche Bäume gibt es etwa in Düsseldorf, Köln, Mülheim an der Ruhr und Ratingen.

Der Baum in Odenkirche­n steht seit 2012, gestiftet wurde er von der Frauenorga­nisation „Ladies’ Circle“. Der damalige Tierparkch­ef Norbert Oellers war sofort begeistert: „Die Idee ist einfach charmant und der Baum bis heute sehr be- liebt.“Das bestätigt Tiergarten­leiterin Kathrin Ernst. Alle paar Monate wird der Baum geleert – allerdings nie komplett. „Wir wollen die Kinder ja nicht verschreck­en, die nochmal wiederkomm­en und ihren Schnulli suchen.“Oellers ist noch immer fast jede Woche im Tiergarten zu Besuch. Oft trifft er dabei Kinder, die ihre Schnuller am Baum aufhängen.

So wie Louniz, der an einem schönen Frühlingst­ag seinen mit dem Emblem von Borussia Mönchengla­dbach verzierten Schnuller in der Hand hält. Tanja Binder-Rütten redet ihrem Sohn gut zu. „Komm, wir hängen den Schnulli jetzt auf. Du brauchst ihn ja gar nicht mehr.“Dann ist es so weit: Louniz läuft um den Baum herum, bestaunt die vielen Schnuller und entscheide­t sich für ein Ästchen in Greifhöhe. Vorsichtig hängt er seinen Schnuller daran. Damit er diesen bei einem späteren Besuch wiederfind­en kann, hat Mutter Tanja ein graues Band mit seinem Namen daran befestigt. Zum Abschied bekommt der „Nucki“noch ein Küsschen, dann ist es geschafft. Zur Belohnung gibt es ein Borussia-Shirt und eine Sonnenbril­le.

Familie Binder hat den Zweijährig­en gut auf diesen Moment vorbereite­t. Wie Tanja Binder-Rütten erzählt, schläft Louniz seit einigen Wochen meist ohne Schnuller ein. „Da haben wir gedacht: Jetzt können wir es probieren“, sagt BinderRütt­en. Von dem Baum habe sie gelesen und Louniz sei von der Idee begeistert gewesen. Damit haben die Binders alles richtig gemacht, sagt Kinderpsyc­hologin Coletta Scharf. Sie empfiehlt, mit der Entwöhnung erst zu beginnen, wenn das Kind selbst einen Impuls dazu gegeben hat. Der Schnuller sei ebenso wie das Nuckeln am Daumen oder an einem Kuscheltie­r Ausdruck des Bedürfniss­es, sich selbst zu beruhigen. „Eigentlich ist das sogar ein Fortschrit­t“, sagt Scharf, „schließlic­h beginnt damit die Unabhängig­keit von der Mutter.“

Einen Zeitpunkt, ab dem die Entwöhnung erfolgen sollte, gibt es der Psychologi­n zufolge nicht: „Kinder sind unterschie­dlich lange auf Saughilfen angewiesen.“Wenn das Kind zu sprechen beginne, sollten Eltern versuchen, es mit Worten zu beruhigen – beim Einschlafe­n etwa durch eine Gutenachtg­eschichte oder ein Lied. Dann seien körperlich­e Beruhigung­shilfen weniger nötig und die Entwöhnung vom Schnuller könne beginnen. Eine Geschichte wie die vom Schnullerb­aum oder der Schnullerf­ee sei eine gute Variante, sagt Scharf. Zudem sollten Eltern für Ersatz sorgen – etwa durch ein Kuscheltie­r oder eine Schmusedec­ke. Am wichtigste­n sei, sich an den Bedürfniss­en des Kindes zu orientiere­n: „Das Kind sollte der Wegweiser sein. Ohne ein solches Zeichen hilft auch der Schnullerb­aum wenig.“

Bei Louniz hat alles geklappt. Schon kurz nach dem Aufhängen interessie­rt sich der Zweijährig­e mehr für sein T-Shirt und die giftgrüne Sonnenbril­le. Zum Abschied dreht er sich noch einmal zu seinem Schnuller um. „Tschüss“, sagt er, winkt und hat schon etwas Neues im Sinn: „Jetzt möchte ich ein Eis.“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Louniz lässt seinen „Nucki“am Schnullerb­aum zurück. Mutter Tanja Binder-Rütten, Vater Andy Binder und Schwester Dalyn sind dabei.

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