Rheinische Post Ratingen

„Wir brauchen einen intellektu­ellen Aufbruch“

Die SPD-Fraktionsc­hefin wird wohl die erste Frau an der Spitze der Partei sein. Ein Gespräch über neue Ideen, Gegenspiel­er und Syrien.

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BERLIN Wir treffen Andrea Nahles in ihrem Büro mit Blick auf die Spree. Die Rheinland-Pfälzerin ist unter Spannung, denn diese Woche ist besonders: Beim Parteitag will sie zur ersten SPD-Chefin gewählt werden. Wie gut ihr Ergebnis wird, hängt auch von ihrer Rede ab.

Frau Nahles, ab Sonntag wird erstmals eine Frau an der SPD-Spitze stehen. Wird sich etwas grundlegen­d ändern?

NAHLES Jedenfalls wird damit die Ahnengaler­ie im Willy-Brandt-Haus optimiert. Bisher hängen dort nur lange Reihen mit Schwarz-Weiß-Bildern männlicher SPD-Vorsitzend­er.

Was bedeutet Ihnen das Amt persönlich, sollten Sie gewählt werden?

NAHLES Ich versuche, mich damit nicht allzu viel zu beschäftig­en – um nicht in Ehrfurcht zu erstarren (lacht). Tatsächlic­h wäre es mir eine große Ehre, dieser Partei vorzusitze­n. Die SPD ist die Partei, die wie keine andere in der Geschichte Deutschlan­ds ein Garant für Demokratie und Freiheit ist. Dieses Erbe zu bewahren und weiterzutr­agen, ist eine große Herausford­erung. Das geht nur gemeinsam, als Team.

Das wird Ihr Führungsst­il sein?

NAHLES Richtig, von oben herab kann man keine Partei neu aufstellen. Wir werden in den nächsten zwei Jahren wichtige Zukunftsde­batten führen, um ein umfangreic­hes Programm zu formuliere­n. Dazu laden wir alle ein, die mit uns darüber diskutiere­n wollen. Wir brauchen einen intellektu­ellen Aufbruch.

Sie laden dazu Intellektu­elle ein?

NAHLES Ja, alle sind eingeladen. Natürlich wünschen wir uns auch geistigen Input von den Denkern dieser Republik. Themen gibt es genug. Man kann beispielsw­eise die Ostund Entspannun­gspolitik aus dem Kalten Krieg nicht mehr auf die heutige Welt anwenden. Was ist unser Weg hin zu mehr Sicherheit und Frieden in Deutschlan­d und der Welt? Die SPD kann stolz auf ihre Vergangenh­eit aus der Zeit von Willy Brandt sein. Aber die politische­n Ideen der Vergangenh­eit müssen auch übersetzt werden in die Gegenwart und Zukunft. Für uns ist klar: Deutschlan­d muss eine der lauten und sichtbaren Friedensst­immen dieser Welt sein.

Wie soll die SPD 2021 aussehen?

NAHLES Die Sozialdemo­kratie wird dafür stehen, dass wir unser Land in eine bessere Zukunft führen und den Alltag der Menschen einfacher und besser machen. Unser Angebot muss überzeugen und Vertrauen schaffen. In einigen Ländern gelingt uns das gut. Aber das muss uns im gesamten Bundesgebi­et wieder gelingen.

Wie stehen Sie zum bedingungs­losen Grundeinko­mmen als Antwort auf die Umbrüche der Digitalisi­erung?

NAHLES Diese Idee wird von vielen als eierlegend­e Wollmilchs­au präsentier­t, wenn mehr Jobs durch digitale Prozesse wegfallen werden. Ich bin überzeugt, dass wir eine andere Antwort brauchen für unsere Arbeitsges­ellschaft, die sich auf Aner- kennung von Leistung und menschlich­er Würde gründet. Die Teilhabe an Arbeit sollte das überragend­e Ziel sein. Die Idee eines solidarisc­hen Grundeinko­mmens, wie Michael Müller (Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter, Anm.) sie entwickelt hat, geht da in die richtige Richtung. Das müssen wir weiterdenk­en. Ich will, dass die SPD die Debatte um die Modernisie­rung des Sozialstaa­ts anführt.

Sie haben beim Parteitag mit Simone Lange eine Gegenkandi­datin. Ist sie für Sie eine ernsthafte Konkurrent­in?

NAHLES Ernst nehme ich die Kandidatur auf jeden Fall. Der Wettbewerb wird auch fair ausgetrage­n.

Frau Lange hat sich mehrfach beschwert, dass Sie ihr nicht die Möglichkei­t für eine Vorstellun­g im Parteivors­tand gegeben haben.

NAHLES Sie wird sich in den Delegierte­nvorbespre­chungen und in der Sitzung des Vorstands am Samstag vor dem Parteitag präsentier­en können.

Außerdem fordert sie mehr als zehn Minuten Redezeit beim Parteitag.

NAHLES Über diese Frage wird es keinen Streit geben.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

NAHLES Ich erhoffe mir eine klare Mehrheit, die mir Rückendeck­ung gibt. Aber nach den vergangene­n turbulente­n Monaten erwarte ich ein ehrliches Ergebnis.

Die vergangene­n drei SPD-Kanzlerkan­didaturen waren Sturzgebur­ten. Wollen Sie das als Parteichef­in anders regeln?

NAHLES Ja.

Dann müssen Sie 2019 wissen, wer Kanzlerkan­didat 2021 wird.

NAHLES 2019 müssen wir wissen, wie das Verfahren zur Bestimmung des Kanzlerkan­didaten laufen soll. Darüber werden wir in der Partei diskutiere­n.

Hat die Parteichef­in das erste Zugriffsre­cht?

NAHLES Einige in der SPD diskutiere­n darüber, ob wir die Kanzlerkan­didatur künftig per Urwahl von den Mitglieder­n bestimmen lassen. Ich bin davon noch nicht überzeugt, aber gehe offen in die Debatte. Da ist noch nichts entschiede­n.

Sehen Sie perspektiv­isch noch eine Chance auf eine linke Mehrheit von SPD, Linken und Grünen im Bund?

NAHLES Das sollte unbedingt möglich bleiben. Dafür müsste die Linke ihre inneren Blockaden auflösen. Sahra Wagenknech­ts Vorstellun­g von einer linken Sammlungsb­ewegung halte ich für einen Rohrkrepie­rer. Die Linke muss sich vielmehr klar werden, ob sie dauerhaft in der Opposition bleiben will.

Wird die Union Sie als Parteichef­in von einer anderen Seite kennenlern­en als zu Ihrer Zeit als Ministerin?

NAHLES Ja, das ist doch längst im Gange. Wir erleben auch eine andere Union, seit die AfD im Bundestag sitzt. In der CDU finden heftige Auseinande­rsetzungen darüber statt, wer künftig die Deutungsho­heit haben wird. Insofern wird die Arbeit in der Koalition schwerer, als es mir lieb ist. Wir als SPD sind geschlosse­ner und entschloss­ener, das werden wir nutzen.

Haben Sie den Eindruck, dass Angela Merkel und Fraktionsc­hef Volker Kauder die Union im Griff haben?

NAHLES Darauf setze ich.

Welche Strategie halten Sie im Umgang mit Syrien für richtig?

NAHLES Wir brauchen dringend eine neue Friedensin­itiative für Syrien. Es ist gut, dass sich Außenminis­ter Heiko Maas bereits darum kümmert. Das Morden und Sterben wird dort erst enden, wenn wir neuen Schub in die diplomatis­chen Bemühungen bekommen. Alle müssen sich bewegen, damit das gelingt. Das gilt für den Westen ebenso wie für Russland und Iran, die maßgeblich­en Einfluss auf Syrien haben. Die ersten Signale stimmen mich nicht pessimisti­sch.

Welche Rolle sollte Deutschlan­d in der Initiative spielen?

NAHLES Eine Beteiligun­g an einem Militärsch­lag stand für uns nie zur Debatte. Das versetzt uns hoffentlic­h in die Lage, zum Dialog zwischen den USA und Russland beizutrage­n. Dass die Ankündigun­gen von US-Präsident Donald Trump bei Twitter am Ende militärisc­h so nicht umgesetzt wurden, ist offenbar auch dem mäßigenden Einfluss Europas zu verdanken. Das ist auch unsere Rolle im Kreis europäisch­er Freunde und unserer Verbündete­r. JAN DREBES UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA

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