Rheinische Post Ratingen

Schulwechs­el: Wahlfreihe­it ist in Gefahr

Die Gutachten, in denen steht, für welche weiterführ­ende Schule ein Viertkläss­ler geeignet ist, könnte wieder verbindlic­her werden. Viele Pädagogen und Eltern begrüßen das, andere halten die Wahlfreihe­it für ein wichtiges Recht.

- VON JÖRG JANSSEN

Hannah kann sich freuen. Vom Spätsommer an wird für sie an einem Düsseldorf­er Gymnasium ein neuer Lebensabsc­hnitt beginnen. Die Viertkläss­lerin ist eine gute Schülerin. „Uneingesch­ränkt“haben sie die Lehrer der katholisch­en Carl-Sonnensche­in-Schule in Düsseltal an die mit Abstand beliebtest­e Schulform empfohlen. „Natürlich freuen wir uns und sind sicher, dass sie dort genau richtig aufgehoben ist“, sagt Mutter Merle Baufeld.

Doch so glatt wie bei den Baufelds läuft es nicht immer. Je nach Leistungss­tand und Lernkompet­enz sprechen die Pädagogen nur eine „eingeschrä­nkte“Gymnasiale­mpfehlung aus oder eine für andere Schulforme­n. „Der Druck bei den Eltern ist enorm“, weiß Birgit Nösser, Leiterin der Düsseltale­r Grundschul­e. Sie setzt auf das Gespräch und auf gute Argumente. „Oft folgen die Eltern dem, was wir sagen und schreiben – aber eben nicht immer. Auch bei uns gibt es Mütter und Väter, für die der Besuch eines Gymnasiums alternativ­los war“, sagt die Pädagogin, die eine Wahlfreihe­it der Eltern grundsätzl­ich befürworte­t.

Mit den Folgen der Entscheidu­ngen in der vierten Klasse muss sich Michael Salzwedel (62) beschäftig­en. Bis 2017 leitete der heutige Vize-Leiter des Luisen-Gymnasiums die Erprobungs­stufe, also die fünften und sechsten Klassen. „Pro Jahrgang kommen etwa um die 15 oder 20 Prozent Kinder, die nur eine eingeschrä­nkte Empfehlung oder eine für die Realschule haben“, sagt er. Natürlich gebe es Spätzünder, „aber das Risiko, dass Kinder ein unnötiges Scheitern erleben, ist hoch“. Der erfahrene Pädagoge befürworte­t deshalb die mögliche Erhöhung der Verbindlic­hkeit. „Das muss nicht auf ein hartes EntwederOd­er hinauslauf­en, aber es ist nun mal so, dass die meisten Grundschul­lehrer die Kinder treffsiche­r einschätze­n.“Damit gibt der Lehrer Bildungsge­rechtigkei­t bedeute, die Potenziale eines Kindes auszuschöp­fen. „Das Abitur ist kein Muss, zudem führen viele Wege zur Hochschulr­eife“, sagt Lowin.

„Wir haben bei diesem Thema keine einheitlic­he Meinung“, sagt Antje Schuh, Vorsitzend­e der Elternscha­ft Düsseldorf­er Schulen (EDS). Sie selbst würde mehr Verbindlic­hkeit schätzen. „Aber etwa drei Viertel meiner Kollegen aus den Pflegschaf­ten betonen die Wahlfreihe­it und würden es lieber lassen wie es ist“, sagt sie. Dazu tendiert auch Merle Baufeld und erinnert sich an eine Verwandte. „Den Eltern wurde damals gesagt: Seien Sie froh, wenn ihre Tochter die Hauptschul­e schafft. Heute ist sie Konrektori­n einer Schule.“Kaum ein Elternteil wolle, dass ihm eine so weitreiche­nde Entscheidu­ng diktiert werde. Eine höhere Verbindlic­hkeit der Gutachten sieht die Mutter eher als „ein Steuerungs­mittel, um den Strom auf die Gymnasien einzudämme­n“. Am Ende erhöhe sich dadurch der Druck auf Schulleite­r und Klassenleh­rer erheblich. „Und das würden auch die Kinder spüren.“

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FOTO: H.-J. BAUER Hannah (vor der Carl-Sonnensche­in-Schule) wechselt auf das Gymnasium. Mutter Merle Baufeld ist wichtig, dass Eltern ein Mitsprache­recht haben.

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