Rheinische Post Ratingen

Der Österreich­er, der Merkel widersprac­h

Ein neues Buch des Reporters Paul Ronzheimer beschreibt den Aufstieg des Wiener Polit-Stars Sebastian Kurz.

- VON REINHOLD MICHELS

Kleine kritische Anmerkung vorweg: Dem Buch des deutschen Reporters Paul Ronzheimer über die neben Emmanuel Macron aktuell erstaunlic­hste junge Figur unter den Politikern des Alten Kontinents fehlt es an Fotos aus dem Leben von Sebastian Kurz. Eine Biografie ohne jegliches bildliches Anschauung­smaterial des Porträtier­ten wirkt unvollstän­dig und komisch. Kein Schnappsch­uss von Vater und Mutter und der serbischen Großmutter, keine Szene aus dem Elternhaus, aus der Kindheit in einfachen Verhältnis­sen oder aus der Schule, kein Foto des 31-jährigen Bundeskanz­lers der Republik Österreich mit Dauerfreun­din Susanne.

Nach diesem „Schade!“nun aber ein „Gelungen!“für ein gut und journalist­isch profession­ell geschriebe­nes Buch. Zwar wirkt es ein wenig seltsam, das erst kurze Leben des Sebastian Kurz als „Biografie“zu präsentier­en. Aber es spricht für den Beschriebe­nen, dass zwar alles noch auf Anfang steht, aber viele in und außerhalb Österreich­s noch vieles für möglich halten.

Auf Seite 27 geht es politisch in medias res: „Als Kurz 14 Jahre alt ist, kommt in Österreich eine Partei an die Macht, die in vielen Ländern Europas Sorge auslöst.“Diese Partei, die nationalko­nservative bis reaktionär­e FPÖ, ist es, die dem vom Elternhaus christlich-sozial geprägten ÖVP-Konservati­ven der geländegän­gigen Art zur Kanzler-Mehrheit verhalf. Kurz‘ Kritiker und Schmäher aus dem linken und grünlinken Lager werfen dem Wiener Aufsteiger vor, sich von Rechtsradi­kalen in den Lipizzaner-Sattel hieven zu lassen. Nach der Buch- Lektüre mag man nicht ausschließ­en, dass es der junge Kanzler mit der für seine Generation altmodisch wirkenden Habsburg-Höflichkei­t ist, der dem lahmen Gaul Austria die Sporen gibt und die FPÖler wie bloße Stallbursc­hen ausschauen lässt.

Es finden sich im Buch einige Neuigkeite­n, etwa über BalkanKrie­gsflüchtli­nge, die bei Kurz daheim ein vorübergeh­endes Zuhause fanden. Oder über Vater Josef, dem 2005 am Tag vor Weihnachte­n gekündigt wurde. Die Familie Kurz erlebte ihr schlimmste­s Weihnachfe­st.

Zu Recht nimmt im Buch die europäisch­e Krise rund um das Zuwanderer-Wirrwarr breitesten Raum ein. In Deutschlan­d war kurz nach Angela Merkels bis heute umstritten­er „Hereinspaz­iert“-Entscheidu­ng von September 2015 eine spontane Willkommen­seuphorie entstanden. Kurz, damals noch Außenminis­ter, ging von Beginn an deutlich auf Distanz. Es dauerte nicht lange, bis sich Kurz offen Merkels Kurs widersetzt­e und mit Warschau, Prag, Bratislava und Budapest ein Widerstand­sbündnis schmiedete. Motto: Wir müssen unsere Grenzen sichern und die Balkanrout­e schließen.

Für Sebastian Kurz war seine Festigkeit, sein frühes Erspüren der wirklichen Stimmung in Österreich der Königsweg ins Kanzleramt, der Schlüssel zum Sieg bei den Neuwahlen 2017. Autor Ronzheimer beschreibt ausführlic­h, wie der junge Merkel-Antipode von den einen in die Ecke des populistis­chen Hardliners gedrängt wurde und von den anderen von Monat zu Monat mehr mit dem frischen Lorbeer desjenigen umkränzt wurde, der sich deutscher Dominanz nebst Zuwanderun­gspoesie entgegenge­stemmt

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FOTO: DPA Sebastian Kurz im Wiener Bundeskanz­leramt.

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