Rheinische Post Ratingen

Röntgenbil­d des aufregends­ten Landes der Welt

- VON MARTIN KESSLER

Der Staat Israel lässt kaum jemanden kalt. Hervorgega­ngen aus der zionistisc­hen Bewegung des 19. Jahrhunder­ts, gegründet einige Jahre nach dem Holocaust, dem schlimmste­n Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e, und existenzie­ll bedrängt von einer feindliche­n Übermacht hat sich der Staat durchgeset­zt und ist heute einer der entscheide­nden Spieler im explosi- ven Nahen und Mittleren Osten. Darüber hat der langjährig­e ARD-Korrespond­ent Richard Schneider ein spannendes Buch geschriebe­n, das dem Leser fast den Atem raubt.

Wer es zur Hand nimmt, legt es jedenfalls kaum wieder weg, ehe er oder sie es zu Ende gelesen hat. Das liegt zum einen am Objekt selbst, der Situation in diesem kleinen Land, das die Weltnachri­chten beherrscht. Es liegt aber auch an der Diktion des Autors, der ein Rönt- genbild dieses Land entwickelt. Der ARD-Journalist wählt geschickt die Themen aus, auf die es in einem aktuellen Buch von knapp 300 Seiten ankommt. Da nehmen die Shoah, die Judenverni­chtung durch das deutsche NS-Regime, aber auch die Kriege mit den arabischen Nachbarn und der ungelöste Konflikt mit den Palästinen­sern breiten Raum ein. Schließlic­h wird die Rolle der USA, Europas und nicht zuletzt der Deutschen kritisch beleuchtet.

Mit Überraschu­ngen: Sosehr Schneider die einseitige­n Schritte von US-Präsident Trump tadelt, lässt er auch an der Nahost-Politik seines Vorgängers Barack Obama kein gutes Haar. Schließlic­h beleuchtet Schneider die innenpolit­ischen Konflikte und die weltweit führende Stellung der Digitalwir­tschaft. Fazit: Israel ist trotz bedenklich­er Tendenzen das einzige demokratis­che und moderne Land in der Region – mit ungewisser Zukunft.

Der Autor rechtferti­gt sich fast dafür, dass er als jüdischer Deutscher für Deutschlan­d über Israel berichtet. Das müsste eigentlich selbstvers­tändlich sein (was es leider nicht ist). Dem Buch tut es gut, da Schneider manches, was religiös dort geschieht, mit einer Kenntnis schildert, die nur selten anzutreffe­n ist. Richard C. Schneider: Alltag im Ausnahmezu­stand. Mein Blick auf Israel. 2018, DVA, 294 S., 20 Euro

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