Rheinische Post Ratingen

Mireille Mathieu hat nie versucht, eine andere zu sein, als die Leute in ihr sehen wollten

- VON DOROTHEE KRINGS

HAMBURG Mit energische­n, etwas steifen Schritten tritt sie auf die Bühne, das schwarze Abendkleid kurz mit schillernd­en Pailletten, die Lippen glänzend rot. Applaus brandet auf. Mireille Mathieu hebt die Arme zur Weltumarmu­ng, legt den Kopf in den Nacken und singt gleich eines dieser Lieder, die vom Glauben handeln, der stärker ist als die Angst – vom Glauben an sich selbst.

Und gleich ist da dieser entschloss­ene Ton, dieser Nachdruck auf jeder Silbe, dazu ihr gemeißelte­s Vibrato. Jeder Takt ist der pure Wille, anzukommen bei den Leuten. Dabei stehen die ja längst, klatschen, winken, feiern ihren „Spatz von Avignon“, die zierliche Frau aus Frankreich, die es allen gezeigt hat, die sich treu geblieben ist, die immer noch singt.

Mireille Mathieu (72) ist zurück. Als es im deutschen Fernsehen noch große Abendshows gab mit Moderatore­n, die Anzug trugen, keine Turnschuhe, durfte sie nicht fehlen. Da sang sie auf Französisc­h und auf Deutsch, sagte der Akropolis adieu, La Paloma adé oder versichert­e Chérie, wie gut es ihr geht durch die Liebe. Und ihr Akzent war so elegant wie ihre schwarzen Kleider. Und ihre Melodien waren mal wehmütig, mal heiter oder ein wenig verrucht: Mit Mireille konnte man flirten und tanzen, weinen, träumen, Spaß haben – stets mit einem gewissen Schick. Nie unter Niveau.

Doch galt sie immer als die Schlagerau­sgabe der wahren Chansonett­e, der singenden Tragödin Edith Piaf. Die Mathieu hat den Vergleich nie gescheut, hat die Lieder ihres Vorbilds gesungen, wieder und wieder die Geschichte ihrer Entdeckung erzählt, wie sie als Älteste von 14 Kindern einer Arbeiterfa­milie schon mit 14 in die Konservenf­abrik geschickt wurde, am Fließband die Lieder der Piaf sang, schließlic­h in einer Talentshow ihr Glück versuchte. Und gewann. Sie hatte diesen Glauben an sich, den sie ein Le- ben lang besingen sollte. Und sie hatte diese markante, warm vibrierend­e Stimme, die viel größer war als sie selbst.

Doch irgendwann hatte das Publikum keine Sehnsucht mehr nach Moulin-Rouge-Ausgelasse­nheit und Montmartre-Nostalgie. Es brauchte die Mathieu nicht mehr, um „hinter die Kulissen von Paris“ zu schauen, man reiste jetzt selbst mal schnell dorthin zum Shoppen. Und auch die Sängerin war irgendwann erschöpft von all den Konzerten, Reisen, Fernsehauf­tritten – von der Figur, die sie geworden war.

Manche Sängerkarr­ieren enden an diesem Punkt, versickern im Treibsand der Zeit. Doch Mireille Mathieu hat sich und ihre Familie aus der Armut gesungen. Sie war die widerspens­tige Kleine, die sich auf die Bühne wagte und den Melodien alles verdankt. Und so blieb sie ihnen treu und sang weiter und wird nun zum Ende ihrer Karriere von einer Welle aus Zuneigung, Bewunderun­g und Respekt getragen.

So singt sie auf einem der ersten Konzerte ihrer Deutschlan­dtournee in der Hamburger Elbphilhar­monie. Und spricht hinterher freimütig darüber, dass dieser Ort ihr Angst eingejagt habe, weil die Elphi doch ein Haus der großen Klassik sei. Aber eigentlich will sie ja dorthin. Gerade arbeitet sie an einem Album mit Werken von Mozart, Schubert, Brahms, das noch in diesem Jahr erscheinen soll. Sie will es jetzt noch einmal wissen, endlich als ernsthafte Künstlerin gesehen werden, nicht mehr als die harmlose Ausgabe der Piaf.

Diese Energie spürt man in ihrem Auftritt. Da ist keine Erschöpfun­g,

Der „Echo“-Musikpreis ist abgeschaff­t und gehört der Geschichte an. Kurios ist, dass es in Deutschlan­d einen unabhängig­en Schallplat­tenpreis gibt, den aber kaum einer kennt,

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