Mireille Mathieu hat nie versucht, eine andere zu sein, als die Leute in ihr sehen wollten
HAMBURG Mit energischen, etwas steifen Schritten tritt sie auf die Bühne, das schwarze Abendkleid kurz mit schillernden Pailletten, die Lippen glänzend rot. Applaus brandet auf. Mireille Mathieu hebt die Arme zur Weltumarmung, legt den Kopf in den Nacken und singt gleich eines dieser Lieder, die vom Glauben handeln, der stärker ist als die Angst – vom Glauben an sich selbst.
Und gleich ist da dieser entschlossene Ton, dieser Nachdruck auf jeder Silbe, dazu ihr gemeißeltes Vibrato. Jeder Takt ist der pure Wille, anzukommen bei den Leuten. Dabei stehen die ja längst, klatschen, winken, feiern ihren „Spatz von Avignon“, die zierliche Frau aus Frankreich, die es allen gezeigt hat, die sich treu geblieben ist, die immer noch singt.
Mireille Mathieu (72) ist zurück. Als es im deutschen Fernsehen noch große Abendshows gab mit Moderatoren, die Anzug trugen, keine Turnschuhe, durfte sie nicht fehlen. Da sang sie auf Französisch und auf Deutsch, sagte der Akropolis adieu, La Paloma adé oder versicherte Chérie, wie gut es ihr geht durch die Liebe. Und ihr Akzent war so elegant wie ihre schwarzen Kleider. Und ihre Melodien waren mal wehmütig, mal heiter oder ein wenig verrucht: Mit Mireille konnte man flirten und tanzen, weinen, träumen, Spaß haben – stets mit einem gewissen Schick. Nie unter Niveau.
Doch galt sie immer als die Schlagerausgabe der wahren Chansonette, der singenden Tragödin Edith Piaf. Die Mathieu hat den Vergleich nie gescheut, hat die Lieder ihres Vorbilds gesungen, wieder und wieder die Geschichte ihrer Entdeckung erzählt, wie sie als Älteste von 14 Kindern einer Arbeiterfamilie schon mit 14 in die Konservenfabrik geschickt wurde, am Fließband die Lieder der Piaf sang, schließlich in einer Talentshow ihr Glück versuchte. Und gewann. Sie hatte diesen Glauben an sich, den sie ein Le- ben lang besingen sollte. Und sie hatte diese markante, warm vibrierende Stimme, die viel größer war als sie selbst.
Doch irgendwann hatte das Publikum keine Sehnsucht mehr nach Moulin-Rouge-Ausgelassenheit und Montmartre-Nostalgie. Es brauchte die Mathieu nicht mehr, um „hinter die Kulissen von Paris“ zu schauen, man reiste jetzt selbst mal schnell dorthin zum Shoppen. Und auch die Sängerin war irgendwann erschöpft von all den Konzerten, Reisen, Fernsehauftritten – von der Figur, die sie geworden war.
Manche Sängerkarrieren enden an diesem Punkt, versickern im Treibsand der Zeit. Doch Mireille Mathieu hat sich und ihre Familie aus der Armut gesungen. Sie war die widerspenstige Kleine, die sich auf die Bühne wagte und den Melodien alles verdankt. Und so blieb sie ihnen treu und sang weiter und wird nun zum Ende ihrer Karriere von einer Welle aus Zuneigung, Bewunderung und Respekt getragen.
So singt sie auf einem der ersten Konzerte ihrer Deutschlandtournee in der Hamburger Elbphilharmonie. Und spricht hinterher freimütig darüber, dass dieser Ort ihr Angst eingejagt habe, weil die Elphi doch ein Haus der großen Klassik sei. Aber eigentlich will sie ja dorthin. Gerade arbeitet sie an einem Album mit Werken von Mozart, Schubert, Brahms, das noch in diesem Jahr erscheinen soll. Sie will es jetzt noch einmal wissen, endlich als ernsthafte Künstlerin gesehen werden, nicht mehr als die harmlose Ausgabe der Piaf.
Diese Energie spürt man in ihrem Auftritt. Da ist keine Erschöpfung,
Der „Echo“-Musikpreis ist abgeschafft und gehört der Geschichte an. Kurios ist, dass es in Deutschland einen unabhängigen Schallplattenpreis gibt, den aber kaum einer kennt,