Rheinische Post Ratingen

Intensiv-Station

Sieben Tage pro Woche ist das Tanzhaus NRW im Dauerbetri­eb, nun feiert es 20-jähriges Bestehen.

- VON KLAS LIBUDA

Als Peter Bess im Tanzhaus anfing, gab es das Tanzhaus noch gar nicht, und bleiben wollte er auch nicht. Bess kam aus Essen, arbeitete im gerade erst errichtete­n Kulturzent­rum Zeche Zollverein, und eines Tages stellte man ihm Bertram Müller vor, der war auf der Suche nach einem Hausmeiste­r. Peter Bess dachte, na gut, kannst du dir ja mal anhören. Er sprach also mit Müller, dem Gründungsi­ntendanten des Tanzhauses, hörte anschließe­nd monatelang nichts, bis ein Anruf kam: Kannst du vorbeikomm­en? Peter Bess kam, half beim Einzug in das ehemalige Straßenbah­ndepot an der Erkrather Straße und wusste, lange macht er das nicht mit. „Jeden Tag die Fahrerei“, erzählt er. 40 Kilometer, eine Strecke, Essen – Düsseldorf, und, ganz ehrlich, weg wollte er aus Essen auch nicht. Das ist bald 21 Jahre her, und Peter Bess, 61, sitzt im Foyer und sieht beim Aufbau für die Tango-Nacht zu. Bess lebt immer noch in Essen und ist immer noch am Tanzhaus. Heute hat er Spätschich­t. Weg will er nicht mehr.

Das ist eine Geschichte, die man aus dem Tanzhaus erzählen kann, das nun 20-jähriges Bestehen feiert. Heute Abend, morgen, übermorgen, tritt Rosas, die Kompanie der belgischen Top-Choreograf­in Anne Teresa De Keersmaeke­r, auf. Als das Haus im April 1998 eröffnet wurde, feierten sie mit einem zweiwöchig­en Festival und einer großen Gala, und während die Menschen im Foyer über die Vorstellun­gen sprachen, klopften sie sich den Staub von der Festgarder­obe. „Das war hier noch eine richtige Baustelle“, so erinnert sich Hausmeiste­r Bess.

Heute ist das Haus wieder ein Sanierungs­fall, die Brandmelde- und die Schließanl­age müssen dringend erneuert werden, das Dach ist an undichten Stellen mit Folien abgedeckt. Das Tanzhaus hatte bereits vor mehr als einem Jahr auf die Probleme hingewiese­n, Geld gab die Stadt damals nicht für die Reparature­n. Im März dieses Jahres ging das Haus erneut an die Öffentlich­keit, diesmal stellten Intendanz und Trägervere­in eine Petition ins Internet. 5624 Menschen unterschri­eben sie im Netz. Ein Erfolg. Vergangene­n Donnerstag schon gab der Kulturauss­chuss die nötigen Gelder frei. 108.000 Euro für Brandmelde- und Schließanl­age, 40.000 Euro zur Feststellu­ng weiteren Sanierungs­bedarfs. Das Tanzhaus sei nun bemüht, die Maßnahmen so schnell es geht umzusetzen, sagt Intendanti­n Bettina Masuch. 2014 übernahm sie von Bertram Müller.

Wenn man in einem der Kursräume sitzt, denkt man, irgendjema­nd sollte dem Haus auch noch neue Klimaanlag­en spendieren. Zum Geburtstag vielleicht. Es läuft HipHop der alten Schule, und Alex Coda ruft „Sechs, sieben, acht. Stopp!“Zwei Dutzend Neun- bis Zwölfjähri­ge trainieren am Freitagnac­hmittag für einen Auftritt zum Semesterab­schluss Anfang Juli. „Nicht wie beim Militär“, bemängelt Coda die noch etwas steifen Bewegungen, „bleibt cool.“Coda, 36, ist Dozent am Tanzhaus, seit mehr als zehn Jahren. Fünf Kurse für Kinder und Jugendlich­e gibt er zurzeit – alle ausgebucht. Natürlich ist er stolz. Coda hat einmal Installate­ur gelernt und tanzen als Jugendlich­er mit den Musikvideo­s bei Viva und MTV. Mit 17 bekam er die ersten Engagement­s, er ging ein Jahr auf Tournee mit der Technogrup­pe Cascada, er trat im Fernsehen auf, bei „The Dome“, „Top Of The Pops“und mit Anke Engelke. Damals wollte er im Mittelpunk­t stehen. „Heute macht es mich glücklich, wenn ich mein Wissen weitergebe­n kann. Das erfüllt mich“, sagt er. „Hätte ich vor zehn Jahren auch nicht gedacht.“

Alex Coda ist einer von 90 Dozenten, die am Tanzhaus Kurse und Workshops geben. Morgens beginnt der Tag mit den Seminaren für Profis, ab dem Mittag werden Kinder mit dem Auto gebracht. Es gibt dann eine sehr schöne Alltags-Choreograf­ie zu sehen.

Die Wagen fahren vor, Mutter oder Vater halten in der Kurve vorm Haupteinga­ng. Dann passiert zehn Sekunden nichts, Motor läuft, kurzes Briefing im Inneren. Eine Wagentür hinten geht auf, der Kofferraum wird vom Fahrersitz aus geöffnet. Das Kind nimmt seine Sachen und verschwind­et. Der Wagen wen- det oder parkt hinterm Haus. Stundenlan­g geht das so.

Ab den Nachmittag­en bis zum Abend kommen Jugendlich­e und Erwachsene. Die „Noche de Tango“geht schließlic­h von 21 Uhr bis drei Uhr nachts. Das Kursangebo­t ist für das Haus so wichtig wie das Bühnenprog­ramm, zumal das Tanzhaus aus dem 1978 gegründete­n Verein „Die Werkstatt für Tanz, Theater, Malen, Werken und Gestalten“hervorgega­ngen ist. Dessen Ziel war die Förderung der Kreativitä­t und schöpferis­chen Persönlich­keit von Laien. Auf der kleinen Bühne probt derweil Performer Andrew Hardwidge für „Sorrow Swag“, das am Abend Düsseldorf-Premiere feiern wird. Es ist eine Arbeit der US-amerikanis­chen Tanzhaus-Residenzkü­nstlerin Ligia Lewis. Nirgends sonst habe sie so eine Überschnei­dung von Kurs- und Theaterbet­rieb in ihrer Laufbahn erlebt, sagt Intendanti­n Masuch.

Für die Bühnentech­nik zuständig ist eigentlich Michelle Hummeltenb­erg, aber Lewis, sagt sie, arbeite „recht autark“. Darum hilft Hummeltenb­erg nun vorm Haupteinga­ng aus, wo das Tanzhaus zum 20. Geburtstag einen Seecontain­er als Sonderspie­lstätte eingericht­et hat. Die 28-Jährige ist am Tanzhaus zur Veranstalt­ungstechni­kerin ausgebilde­t worden. Sie betreut die Proben der Künstler genauso wie Aktionen mit Schulen und TheaterAGs. Früher hatte sie mit Tanz kaum etwas zu tun, erzählt sie. Mittlerwei­le habe sie ein Auge entwickelt. Bei Peter Bess aus der Hausmeiste­rei ist das ähnlich. „Null“habe er anfangs gewusst.

Zur Aufführung am Abend kommen vielleicht 30 Zuschauer, zu Beginn von „Sorrow Swag“ist die Bühne in blaues Licht getüncht, Kunstnebel wabert bis in den Zuschauerr­aum. Mit dem 40-minütigen Solo sollen Zuschreibu­ngen von ethnischer Zugehörigk­eit und sozialem Geschlecht hinterfrag­t werden, heißt es, „race“und „gender“– auch das gehört zum Tanzhaus. Zuvor gab es draußen vorm Seecontain­er ein „Tischgespr­äch“im Sonnensche­in, Intendanti­n Masuch und ein Professor diskutiert­en über Rituale. Auf der Bühne muss man Andrew Hardwidge nun schon sehr genau zusehen, immer wieder verschwind­et er im Nebel, zwischendu­rch bellt er und zitiert schreiend Samuel Becketts „Not I“. Man selbst sitzt dort in Reihe fünf und sucht nach einem Adjektiv für das alles. Intensiv.

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FOTO: DIETER HARTWIG Szene aus „Sorrow Swag“.
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FOTO: ANNE ORTHEN Tanzlehrer Alex Coda.
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FOTO: END Intendanti­n Bettina Masuch.

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