Ekstase der Nacht: Keersmaekers Tanzstück „Rosas“
Egal, mit welchem Vorwissen man zu diesem 90-minütigen Abend im Tanzhaus geht, man kommt geläutert wieder heraus. Vorwissen zu Anne Teresa De Keersmaekers Stück „Rosas danst Rosas“könnte sein, dass sich die Pop-Diva Beyoncé vor einigen Jahren ungefragt bei dem Stück bediente, als ihr Videoclip zu „Countdown“entstand. Da war die 1983 entstandene Vier-Tänzerinnen-Performance längst von der Avantgarde über den Rang eines Klassikers zum Mainstream geworden. Und deren Schöpferin nahm die freche Abkupferei mit Humor. Nach 35 Jahren könnte man sich mit Bergen von Vorwissen auf „Rosas danst Rosas“einlassen. Doch das eigene Erleben bringt viel mehr.
Bereits ab den ersten Minuten erliegt man einem Sog, den man selbst nicht begreift. Es ist Nacht auf der Bühne, gezeigt wird Schlaflosigkeit. Sich drehen und wenden, den Oberkörper aufrichten, mit dem Arm abstützen. Dann wieder flach werden. Das Ganze immer mal vier, also vier Körper für ein Empfinden. So präzise synchronisiert wie ein Uhrwerk. Auf die Nacht folgt der Morgen, dann der Nachmittag und schließlich ein Zeitpunkt, an dem der Körper ruhen will. Jetzt aber bäumen sich die Tänzerinnen auf, erobern von den Rändern über Lichtkorridore die Bühne. Aus der Unruhe der Nacht ist Ekstase geworden.
Auch wenn das Repertoire ihrer Gesten begrenzt ist: Die Begriffe Unnahbarkeit und Verletzlichkeit zeigen Gestalt. Ähnliches, so wissen die Tanzkritiker, hat man vorher nur bei der Minimalistin Lucinda Childs und bei Pina Bausch gesehen. Monotonie der körperlichen Bewegung prägt unseren Tagesablauf. In „Rosas danst Rosas“erweist sie sich als große Kunst. Und als beinahe übermenschliche Leistung des Ensembles, das dem Stück bereits in vierter Generation huldigt. Claus Clemens