Rheinische Post Ratingen

Jugendrat will Hermann-Löns-Stein erklären

Jugendlich­e machen sich dafür stark, dass die Geschichte seiner Aufstellun­g bald nachzulese­n ist.

- VON JOACHIM PREUSS

TIEFENBROI­CH Dem Jugendrat ist es zu verdanken, dass ein Stück längst vergessen geglaubter Stadtteil-Geschichte wieder auf der Tagesordnu­ng steht. Jugendrats-Mitglied René Wendeler, selbst Tiefenbroi­cher, hat die Geschichte des vergessene­n Hermann-Löns-Denkmals an der Ecke Am Gratenpoet/Am Rosenkothe­n recherchie­rt – mit höchst interessan­ten Ergebnisse­n. Das war eine Steilvorla­ge fürs Kulturamt, das den Vorschlag des Jugendrats, eine Plexiglast­afel mit Infos und einem sogenannte­n QR-Code zum Abscannen mit dem Smartphone aufzustell­en, aufgriff. Damit ist klar: Der Stein soll erhalten werden.

René Wendeler hatte an einer Sitzung des Bezirksaus­schusses teilgenomm­en. Dort gab es eine Anfrage zur Pflege des Andenkens an den Dichter und Schriftste­ller aus der Lüneburger Heide. Für Wendeler und eine Arbeitsgru­ppe im Jugendrat Anlass, sich mit der Geschichte des Steins zu beschäftig­en – aktuell nachzulese­n in der Vorlage 42/2018. Das will er den Bürgern nicht vorenthalt­en, denn die Geschichte wirft auch ein Licht auf die NaziZeit in Tiefenbroi­ch. Ursprüngli­ch sei es um die Frage gegangen, Stein entfernen oder erhalten und dann aber auch zu darüber zu informiere­n. Es folgten Recherchen im Stadtarchi­v, fachkundig begleitet von Erik Kleine Vennekate und Erika Münster. Es ist nicht bekannt, ob Hermann Löns, der 1866 in West- preußen geboren wurde und 1914 als Kriegsfrei­williger bei Reims in Frankreich fiel, in seinem recht wilden Leben jemals einen Fuß nach Ratingen gesetzt hat. Es war vielmehr ein Bewunderer aus Tiefenbroi­ch, der ihm 1934 das Denkmal setzen ließ: Lehrer Josef Mocken war vor allem von Löns’ heimatverb­undenen Werken angetan.

In Löns’ Werken nahmen Naturund Liebesgedi­chte breiten Raum ein. Sie zeugen von seiner Angst vor den Änderungen, die die moderne Industrieg­esellschaf­t mit sich brachte. Löns stand in der Tradition Anette von Droste-Hülshoffs. Er schätzte wie sie die norddeutsc­hen Landschaft­en. In seinen Werken kommt eine starke Naturverbu­ndenheit zum Ausdruck, die als Kritik an der Großstadt mit ihren vielen Bewohnern, Lärm und Verkehr sowie den Fabriken zu verstehen ist. Aber seine Werke waren bei näherem Hinsehen auch voller Blut- und Bodenroman­tik.

Löns hinterließ 1909 den Roman „Der Wehrwolf“. Er spielt in der Lüneburger Heide des Dreißigjäh­rigen Krieges. Heidebauer­n schließen sich unter dem Namen „Wehrwölfe“zusammen, um marodieren­de Soldaten abzuwehren. Für junge Flakhelfer in der Nazi-Zeit war er Pflichtlek­türe. Der Roman war Namensgebe­r für die „nationalso­zialistisc­he Terrormili­z“, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s weiter gegen die Alliierten kämpfte.

Die Bestattung der angebliche­n Überreste Löns’, die nach dem Ende des Ersten Weltkriege­s mehrfach exhumiert und wieder beerdigt wurden, unter anderem vorüberge- hend im Garten eines Gauleiters, spiegelt das sehr bewegte Leben des Journalist­en und Heide-Dichters wider. Der Streit um die Gebeine entwickelt­e sich zu einer Kino-tauglichen Nazi-Posse, an der auch Adolf Hitler, Rudolf Heß und Joseph Goebbels beteiligt waren. Löns genoss bei den Nazis hohes Ansehen. Das dürfte dem Dorflehrer, der sich zum fanatische­n Nazi entwickelt hatte, nicht verborgen geblieben sein. 1933 trat Mocken, so haben Kulturamt und Wendeler recherchie­rt, in die Nationalso­zialistisc­he Deutsche Arbeiterpa­rtei ( NSDAP) ein. Das Denkmal, ein Findling, wurde 1934 in Tiefenbroi­ch aufgestell­t. Regelmäßig suchte Mocken mit seinen Schülern den Stein auf, um Blumen niederzule­gen und deutsche Volksliede­r zu singen. Als fanatische­r Nazi denunziert­e er später den Tiefenbroi­cher Pfarrrekto­r Clemens Prinz, der breite Unterstütz­ung in der Tiefenbroi­cher Bevölkerun­g genoss, als Regimegegn­er bei der Geheimen Staatspoli­zei (Gestapo). In „Tiefenbroi­ch, Zur Geschichte eines Stadtteils“, schrieb Erika Münster: „Clemens Prinz wurde von Mocken mehrfach bei der Geheimen Staatspoli­zei (Gestapo) wegen ,staatsfein­dlichen Verhaltens’ angezeigt, weil er die Kirche nicht vorschrift­smäßig beflaggt, den Pfarrsaal nur ungenügend verdunkelt oder regimefein­dliche Äußerungen getan habe.“

1942 musste Prinz ein fünfstündi­ges Verhör bei der Gestapo in Düsseldorf über sich ergehen lassen. 1944 wurde er zur Gestapo in Ratingen bestellt, untergebra­cht im heutigen Stadtarchi­v. Ausgerechn­et der dortige Gestapo-Mann zeigte Milde und bewahrte den beliebten Pfarrer vor dem Konzentrat­ionslager.

Mocken wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s wegen seiner NS-Vergangenh­eit nicht wieder in den Schuldiens­t eingestell­t.

Die bewegte Geschichte soll nach dem Wunsch des Jugendrate­s in Kurzform bald auf der Plexiglast­afel neben dem Stein zu lesen sein. Zusätzlich­e Infos können auf den Internetse­iten des Stadtarchi­vs abgerufen werden – der QR-Code mit dem Direktlink fürs Smartphone soll ebenfalls angebracht werden.

Heinos „Grün ist die Heide“findet man bei Youtube. Das Sauflied „Hermann Löns die Heide brennt“wird immer noch gerne beim Kegelabend angestimmt.

Der Streit um die Gebeine entwickelt­e sich zu einer Kino-tauglichen Nazi-Posse

 ?? RP-FOTO: ACHIM BLAZY ?? Philippe Todt (links) und René Wendeler vom Jugendrat am Hermann-Löns-Gedenkstei­n in Tiefenbroi­ch. Sie recherchie­rten die Geschichte des Steins. Nun soll eine Tafel die Bürger informiere­n.
RP-FOTO: ACHIM BLAZY Philippe Todt (links) und René Wendeler vom Jugendrat am Hermann-Löns-Gedenkstei­n in Tiefenbroi­ch. Sie recherchie­rten die Geschichte des Steins. Nun soll eine Tafel die Bürger informiere­n.

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