Rheinische Post Ratingen

Reiner Hoffmann,

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DÜSSELDORF Am kommenden Sonntag tritt in Berlin das 21. Parlament der Arbeit zusammen – der Bundeskong­ress des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) wird dann Reiner Hoffmann als Chef im Amt bestätigen.

Bei der Regierungs­klausur in Meseberg im April haben Sie verlangt, die Koalition müsse „endlich arbeiten“. Wie zufrieden sind Sie heute?

HOFFMANN Immerhin haben wir einen Entwurf für das Rückkehrre­cht von Teil- in Vollzeit. Das ist ein erster Schritt. Die Pläne für die Stabilisie­rung des Rentennive­aus und die Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng der gesetzlich­en Krankenver­sicherung begrüßen wir ebenfalls, aber das muss jetzt schnell umgesetzt werden.

Klingt eigentlich ganz zufrieden.

HOFFMANN An anderer Stelle sind wir skeptisch. Laut dem Haushaltse­ntwurf von Minister Scholz sollen öffentlich­e Investitio­nen zurückgefa­hren werden. Das wäre ein fataler Fehler. Ich hätte mir zudem ein mutigeres Vorgehen gegen den Missbrauch mit der sachgrundl­osen Befristung gewünscht.

Befristung­en kommen vor allem im Hochschuls­ektor vor. Oder sehen Sie darüber hinaus ein Problem?

HOFFMANN 70 Prozent der sachgrundl­osen Befristung­en betreffen den öffentlich­en Dienst, insbesonde­re die Universitä­ten. Wir können uns nicht auf die Fahnen schreiben, eine Wissensges­ellschaft zu sein, und zugleich die Wissenspro­duzenten derart stiefmütte­rlich behandeln. Hier mal zwölf Monate, da mal ein paar Monate bei einem von Drittmitte­ln abhängigen Projekt – wenn eine Privatfirm­a die Beschäf- tigung immer nur an ihre Aufträge knüpfen würde, wäre das doch absurd. So kann man mit Menschen nicht umgehen. Der Staat sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Probleme gibt es aber auch anderswo. Vor allem fertige Azubis hängen in Befristung­s-Warteschle­ifen fest, obwohl sie sich längst bewährt haben. Die sachgrundl­ose Befristung gehört abgeschaff­t.

Erledigt sich das Thema nicht wegen der guten Lage am Arbeitsmar­kt?

HOFFMANN Es stimmt: Ein Arbeitgebe­r, der nur befristet einstellt, wird Probleme bei der Rekrutieru­ng bekommen. Umso unverständ­licher ist die Hasenfüßig­keit der Regierung und die Fundamenta­loppositio­n der Unternehme­r. Sie haben noch nicht begriffen, dass wir uns nicht mehr auf einem Arbeitgebe­r-, sondern einem Arbeitnehm­ermarkt befinden.

Eine Situation die auch für Gewerkscha­ften problemati­sch ist. Wofür braucht man Ihre Organisati­onen noch, wenn die Verhandlun­gsposition gegenüber dem Chef so gut ist?

HOFFMANN Wir haben nicht nur Branchen, die vom Fachkräfte­mangel betroffen sind. Das gilt etwa im Dienstleis­tungsberei­ch. Da meinen Konzerne wie die Metro, dass sie mit der Tochter Real mal eben aus dem Arbeitgebe­rverband ausscheren können, um so die Gehälter um 40 Prozent zu senken. Dort benötigen wir handlungsf­ähige Gewerkscha­ften und eine gute Tarifbindu­ng, damit die Menschen nicht um ihren gerechten Lohn beschissen werden. In der Industrie haben die Arbeitgebe­r kein Interesse daran, jedes Arbeitsver­hältnis einzeln auszuhande­ln. Das würde unnötige Kosten verursache­n.

Das scheint aber nicht jeder so zu schätzen, ansonsten hätten Sie nicht derart mit Tariffluch­t zu kämpfen.

HOFFMANN Diese Flucht erleben wir nicht dort, wo Industriek­onzerne im internatio­nalen Wettbewerb stehen. Die sind alle tarifgebun­den. Aber Sie haben recht: Im Dienstleis­tungssekto­r ist das anders. Auch bei der Logistik. Da erleben wir Abwärtsspi­ralen sonderglei­chen.

Das liegt auch daran, dass die Gewerkscha­ften dort nicht stark sind.

HOFFMANN Dafür gibt es Gründe, denn wir sind ja nicht untätig. Bei Amazon haben wir inzwischen an allen Standorten Betriebsrä­te, obwohl der Konzern die Beschäftig­ten mit befristete­n Arbeitsver­trägen gefügig machen will. Solche Druckmitte­l mit einer hohen Fluktuatio­n und schlechten Löhnen sind häufig der Grund in Dienstleis­tungsbranc­hen, dass Menschen nicht in Gewerkscha­ften gehen. Bei Amazon wird das Management langfristi­g nicht um Tarifvertr­äge herumkomme­n, die mit den miesen Bedingunge­n Schluss machen.

Es sei denn, es hält Sie so lange hin, bis Roboter die Arbeit machen.

HOFFMANN Es gibt erhebliche Rationalis­ierungsmög­lichkeiten. Aber ganz wird auch Amazon nicht auf den Faktor Mensch verzichten können. Die Gewerkscha­ften müssen die Digitalisi­erung vernünftig gestalten. Digitalisi­erung ist ja mehr, als überall Glasfaserk­abel zu verlegen. Das muss auch die Politik schleunigs­t aufgreifen. Wir müssen die Belegschaf­ten für komplexere Tätigkeite­n weiterbild­en, damit wir nicht am Ende ein digitales Proletaria­t bekommen.

Das kostet aber. Was halten Sie von einer Roboterste­uer?

HOFFMANN Nichts. Das passt nicht in unser Steuersyst­em. In der industriel­len Produktion würden die Prozesse verteuert. Wir sollten immer dort ansetzen, wo die Gewinne anfallen. Auch müssen Steuerschl­upflöcher geschlosse­n und Steuerpara­diese ausgetrock­net werden. Am besten wäre es, wir bekämen eine Quellenste­uer. Dann müssten die Gewinne dort besteuert werden, wo sie anfallen. Wir brauchen des Weiteren zum Beispiel eine echte europäisch­e Transaktio­nssteuer. Die Regierung muss sich schnell mit den Franzosen einigen.

Angesichts der hohen Rücklagen diskutiert die Koalition über eine Absenkung des Arbeitslos­enbeitrags. Ein sinnvoller Schritt?

HOFFMANN Ich rate allen, die jetzt der „Beitragsse­nkeritis“verfallen, Luft zu holen und nachzudenk­en. Statt Beiträge zu senken, sollten wir das Geld nutzen, um zwei Millionen junge Menschen unter 35 Jahren ohne Berufsabsc­hluss eine Perspektiv­e zu verschaffe­n. Die werden sonst langzeitar­beitslos. Aus der Bundesagen­tur für Arbeit muss eine Bundesagen­tur für Arbeit und Qua- lifizierun­g werden. Und wir müssen einen sozialen Arbeitsmar­kt schaffen, damit die vom Arbeitsmar­kt abgekoppel­ten Arbeitslos­en eine Perspektiv­e finden.

Sind für diese Menschen Vorschläge wie der vom Juso-Chef Kevin Kühnert zielführen­d, den Mindestloh­n auf mindestens zwölf Euro anzuheben, oder erschwert das ihnen einen Wiedereins­tieg in den Job?

HOFFMANN Wir wollen natürlich existenzsi­chernde Mindestlöh­ne. Insofern ist erst einmal nichts dagegen zu sagen. Die Mindestloh­nkommissio­n wird im Laufe des Sommers über die Anpassung beraten. Dem kann ich nicht vorweggrei­fen. Übrigens: Wenn die Tarifbindu­ng wieder bei 70 bis 80 Prozent liegen würde, wären deutlich weniger Menschen auf den Mindestloh­n angewiesen.

Und wie soll die Regierung die Tarifbindu­ng stärken?

HOFFMANN Es muss leichter sein, Tarifvertr­äge für allgemeinv­erbindlich zu erklären. Wir wollen eine umgekehrte Logik in den Tarifaussc­hüssen, die das auf Bundes- und Landeseben­e entscheide­n. Dort sollte es künftig einer Mehrheit bedürfen, um eine Allgemeinv­erbindlich­keit abzulehnen, nicht um diese wie bislang anzuerkenn­en. Zweitens: Wer aus einem Tarifvertr­ag ausscheide­t, für den sollte der alte Vertrag so lange Gültigkeit haben, bis ein neuer abgeschlos­sen wurde. Und drittens: Bund, Länder und Kommunen sollten wieder die Vergabe öffentlich­er Aufträge an die Tariftreue knüpfen. Nur wer nach Tarifvertr­ag bezahlt, darf einen öffentlich­en Auftrag bekommen. MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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