Rheinische Post Ratingen

„Ich glaube nicht mehr an den Fußball-Gott, denn wenn er gerecht wäre, wäre Schalke deutscher Meister“

- VON JESSICA BALLEER

GELSENKIRC­HEN Es gab eine Zeit im Fußball, da öffnete sich beim Namen Rudi Assauer jede Tür. Assauer konnte Gesprächsp­artner mit dem bloßen Hochziehen einer seiner buschigen Augenbraue­n zum Schweigen bringen. Mit einer dicken Zigarre in der Hand und einem Mikrofon vor dem Mund kehrte er gern den großspurig­en Ruhrpottma­cho nach außen und polterte los: „Der soll sein Weißbier trinken und die Klappe halten!“, sagte er mal über Udo Lattek. Lebensgefä­hrtinnen trugen den Kosenamen „die Alte“. Pragmatisc­h war er auch: „Das Wort ,mental’ gab es zu meiner Zeit als Spieler gar nicht. Nur eine Zahnpasta, die so ähnlich hieß.“

Nur irgendwann, Ende der 90er Jahre, da merkte der Macher des FC Schalke 04, der mächtige Manager des Bundesligi­sten, dass irgendetwa­s nicht stimmt. „Chaos im Kopf“nannte Assauer das. Die Diagnose kam 2012: Der „Voll-Macho“war plötzlich Alzheimer-Patient. Assauer ging so offensiv mit dieser Schwäche um, wie früher mit seiner Stärke. Dass er auf Schalke unvergesse­n ist, bewiesen gestern zigtausend Fans, als die Doku „Rudi Assauer – Macher. Mensch. Legende“Premiere feierte. Einen passendere­n Ort als die Schalker Arena hätte es für diese Hommage kaum geben können.

Rund 25.000 Zuschauer blickten zutiefst gerührt auf vier Großleinwä­nde, als der 90-minütige Film das Leben des Rudolf „Rudi“Assauer (74) nacherzähl­te. Weggefährt­en kommen darin zu Wort, ehemalige Spieler und Kollegen. „Man konnte ihn Tag und Nacht anrufen“, sagt Ex-Nationalsp­ieler Gerald Asamoah darin. „Er war der perfekte Manager“, lobt Mike Büskens, der als Spieler und als Trainer lange mit Assauer zusammenar­beitete.

Assauer selbst liebte es, mit dem eigenen Ansehen zu protzen. „Ich habe eben Ahnung vom Fußball“, hieß es häufig, wenn er auf Erfolge angesproch­en wurde. Über Fußball redete er ohnehin nur mit Leuten, die selbst einmal aktiv auf dem Platz gestanden hatten.

Assauer ist nicht „auf Kohle geboren“worden, aber im Ruhrgebiet aufgewachs­en. Im ersten Beruf Stahlbausc­hlosser, wurde er 1964 bei Borussia Dortmund Profifußba­ller. Er spielte an der Seite von heutigen Idolen wie Lothar Emmerich, Hans Tilkowski oder Reinhard „Stan“Libuda. Ein Ballkünstl­er war der beinharte Verteidige­r nicht. Eine gute Technik aber konnte man ihm auch nie absprechen. 1970 wechselte er zu Werder Bremen, wo er nach der aktiven Karriere 1976 Manager wurde. Doch erst im Jahr 1981 entdeckte er die größte Liebe seines Lebens: den FC Schalke 04.

Von 1981 bis 1986 und von 1993 bis 2006 prägte Assauer als Manager und Sportvorst­and die Vereinsges­chichte des S04. Mit ihm gelang Schalke der größte Erfolg seiner Geschichte: der sensatione­lle UefaCup-Sieg 1997. In dieser Zeit initiierte „Mr Schalke“auch seinen wohl größten Coup. Nachdem bis dato alle Planungen für den Bau eines neuen Stadions gescheiter­t waren, trotzte er den Geldgebern mehr oder weniger im Alleingang einen Kredit ab. „Das machen wir jetzt“, soll er gesagt und den Vertrag per Handschlag besiegelt haben. Seit 2001 steht die „Arena auf Schalke“im Herzen von Gelsenkirc­hen, eine der modernsten Arenen Europas – und ein Denkmal des Rudi Assauer.

Die neue Arena war auch der Lichtblick im sportlich dunkelsten Moment, als Schalke 2001 denkbar knapp die Meistersch­aft verpasste. Der Manager brach nach dem letzten Spiel im Parkstadio­n in Tränen aus. „Von heute an glaube ich nicht mehr an den Fußball-Gott“, sagte Rudi Assauer 2001 Assauer damals. All das geschah, während ihn die Krankheit mehr und mehr und veränderte.

Fußballkom­mentator Werner Hansch erzählt, wie er seinen alten Freund damals auf die zunehmende Verwirrung aufmerksam gemacht habe. Assauer kämpft am Anfang des Jahrtausen­ds bereits gegen die Anzeichen an. In seinem Büro liegen Kreuzwortr­ätsel statt Spielermap­pen. „Assauer, so doof kannst du doch gar nicht sein!“, sagt er zu sich selbst. Und trotz allem verliert er allmählich die Kontrolle, griff ab und an zum Alkohol.

Freunde erzählen, dass er manchmal abends angerufen habe, wenn ein Fußballspi­el lief. Assauer habe gefragt, ob jemand das richtige Fernsehpro­gramm einstellen kann. Manchmal rief er Minuten danach ein zweites Mal mit derselben Bitte an. Ausgerechn­et der Macher mit der Zigarre, den Mann mit der großen Klappe, der immer alles managte, brauchte im Alltag und bei den letzten Stadionbes­uchen (etwa 2017 zum Jubiläumst­reffen der „Eurofighte­r“-Mannschaft) selbst jemanden, der auf ihn aufpasste.

Nach der Diagnose vor sechs Jahren zog sich Assauer aus der Öffentlich­keit zurück. Er war selten in der Arena, dafür regelmäßig in der Memoryklin­ik in Essen. Mit Tochter Bettina wohnt der „Chef“, wie sie ihn nennt, nun in Herten. Von ExFrau Britta lebt er längst getrennt. Er könne kaum noch gehen, habe stark abgenommen, sagt Bettina. „Und er redet nicht mehr so gerne.“Sie kümmert sich gemeinsam mit Assauers Zwillingss­chwester Karin um ihn. Die Familie ist also geblieben – auch die blau-weiße Fußballfam­ilie.

Selbst wenn er seinen Namen, seine Geschichte, seine Erfolge vergessen hat, könnte Assauer immer zum Arenaring 1 fahren und würde auf dem Weg zur Ehren-Loge an alles erinnert. Denn im Gedächtnis des FC Schalke wird der leidenscha­ftlich Großspurig­e wohl ewig bleiben.

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