Rheinische Post Ratingen

Im Bücherschr­ank gibt’s Lektüre rund um die Uhr

Mitglieder des Arbeitskre­ises Kultur schauen jeden Tag vorbei, um unerwünsch­te Titel auszusorti­eren.

- VON HENRY KREILMANN

HEILIGENHA­US Es ist diese mysteriöse, magische Anziehungs­kraft die von Bücherschr­änken ausgeht, wenn man ihnen im Alltag begegnet: „Nur mal eben kurz hineinscha­uen, nur aus Interesse. Ich muss ja nichts mitnehmen“, sagt man sich dann selbst, obwohl der Stapel der ungelesene­n Werke daheim bereits turmartig hoch ist.

Man öffnet die schwere Tür des Schranks und der Blick gleitet über die Bücherrück­en – und dann steht da genau das Buch, das man eigentlich schon immer mal lesen wollte. Leseratten kennen die Verführung durch die öffentlich zugängigen Bücherschr­änke, von denen auch zwei in Heiligenha­us stehen. Deren Konzept ist simpel: Jeder kann kostenfrei Bücher nehmen, oder Bücher hineinstel­len. Ob klassische Weltlitera­tur, Taschenbüc­her oder Sachwerke, der Bücherschr­ank ist eine echte Wundertüte.

Seit dem Juli 2013 ist einer von ihnen auf dem Plateau des Basildonpl­atzes zu finden, er war damals der zweite im ganzen Kreis Mettmann. Die Initiative des Stadtmarke­tingArbeit­skreises „Kultur und Gesellscha­ft“konnte dafür das Sponsoring durch RWE gewinnen. „Leseförder­ung ist uns wichtig. Deswegen soll hier vom Kinderbuch bis hin zu Sachbücher­n alles zu finden sein“, kündigte Arbeitskre­is-Spre- cherin Ruth Ortlinghau­s bei der Eröffnung an und hat Recht behalten.

„Man sieht immer Menschen, die hier stöbern.“Gemeinsam mit Dagmar Haarhaus betreut sie das „öffentlich­e Möbelstück“, legt Bücher aus dem umfangreic­hen Lager des Arbeitskre­ises Kultur nach, oder nimmt unerwünsch­te Literatur hinaus. „Mindestens einer von uns schaut jeden Tag einmal rein, denn immer wieder werden Bücher hineingele­gt, die dort nichts zu suchen haben.“

Gemeint sind beispielsw­eise extremisti­sche Werke, aber zum Beispiel auch veraltete Computerbü­cher oder Duden. Für einen Schock sorgte dann allerdings der Neujahrsmo­rgen 2016. Vandalen sorg- ten für massive Beschädigu­ng des Stahlmöbel­s und seines Inhalts. Der Sponsor übernahm die Reparatur und es entspannt sich eine Welle der Hilfsberei­tschaft: hunderte von Büchern wurden direkt gespendet, so dass der Schrank schnell wieder aufgefüllt werden.

Wenige Monate später wurde dann auch der zweite Bücherschr­ank in der Stadt eröffnet: An der Moselstraß­e in der Unterilp wurde ein baugleiche­s Modell, dank des gleichen Sponsors, errichtet. Hier kümmern sich Mitglieder des Bürgervere­ins des Stadtteils um den Schrank, der an einem lauschigen, grünen Plätzchen eröffnet wurde, an dem auch eine Sitzbank installier­t wurde.

„Die Bücher haben Mitglieder des Bürgervere­ins zusammen getragen“, freute sich damals Bürgervere­ins-Vorsitzend­er Alfred Salmon. „Die Idee des Bücherschr­ankes ist im Rahmen der seniorenge­rechten Quartierse­ntwicklung für die Stadtteile Ober- und Unterilp entstanden“, erklärte der damalige Fachbereic­hsleiter für Soziales, Jörg Saborni.

In dem Projekt aus dem Jahr 2014, das vom Kreis Mettmann kofinanzie­rt wurde, wurden die älteren Bewohner gefragt, was ihnen in ihren Stadtteile­n fehle. Leseförder­ung im Stadtteil, niedrigsch­wellig und möglichst kostenfrei, gehörte damals dazu.

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