Rheinische Post Ratingen

„Ich liebe deutsche Tier-Sendungen“

Die Pianistin tritt Ende Mai in der Tonhalle auf. Im Interview spricht Hélène Grimaud über das deutsche Fernsehen, ihr Engagement für wild lebende Wölfe und darüber, was wir von den Tieren lernen können.

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Eine Französin, die die deutsche Sprache liebt? Ja, Hélène Grimaud macht aus ihrem Faible für deutsche Begriffe, Sätze und Redewendun­gen keinen Hehl. „Das Deutsche ermöglicht einen viel reflektier­teren Blick in die Tiefen der Wörter als andere Sprachen“, sagt die 48-Jährige – um im Interview dann aber doch lieber vor allem auf Englisch zu parlieren. „Ich habe nie Unterricht gehabt, und im Deutschen ist das tödlich, da die Grammatik einfach stimmen muss, andernfall­s ergeben die Worte keinen Sinn“, entschuldi­gt sie sich. Am 27. Mai tritt die französisc­he Pianistin mit dem Philadelph­ia Orchestra in der Tonhalle auf.

So schön Musik auch sein mag, für Künstler bedeuten vor allem Konzerte immer auch eine Herausford­erung und Anspannung – wie entspannen Sie sich?

GRIMAUD Am liebsten mit Tieren, da kann ich wirklich abschalten und ganz den Moment erleben. Das ist meine große Geheimwaff­e – wobei das auf Tour natürlich nicht so gut möglich ist. Ich zappe mich dann manchmal auch einfach durchs TV-

„Ich brauchte einen Lebensmitt­elpunkt, und da war New York meine erste Wahl“

Hélène Grimaud Pianistin Programm. Zumal in Deutschlan­d, denn ich liebe das deutsche Fernsehen, es ist einfach wundervoll!

Wirklich? Was gefällt Ihnen denn am hiesigen Programm?

GRIMAUD Ich finde es sehr unterhalts­am, und ich liebe die Tier-Sendungen, die es hier in den öffentlich­rechtliche­n Programmen gibt. Doch auch auf den Regional-Sendern finden sich einige wirklich gute Programme mit Natur- oder Wissenscha­ftssendung­en. Insofern zappe ich mich in Deutschlan­d immer gern durch die Programme und hoffe, Elefanten, Tiger und Co. zu entdecken.

Und was macht für Sie das entspannen­de Moment im Umgang mit Tieren und Natur aus?

GRIMAUD Genau vermag ich das auch nicht zu sagen, denn ich bin weder mit Tieren noch in der Natur aufgewachs­en, sondern habe meine Kindheit mitten in der Stadt verlebt. Vielleicht hängt es einfach mit der Gegenwart eines Tieres zusammen, denn Tiere haben die Fähigkeit, den Moment zu leben und sich selbst zu genügen. Zudem bietet der Umgang mit Tieren etwas sehr Wahrhaftig­es: Da gibt es keine Hintergeda­nken, keine Sprache, hinter der man sich verstecken kann – die Kommunikat­ion und Beziehung zu Tieren ist immer ganz unmittelba­r, direkt und ehrlich.

Das heißt, eigentlich müssten wir uns die Tiere viel mehr zum Vorbild nehmen?

GRIMAUD Das könnte ganz sicher nicht schaden. Und wir sollten zudem unserer Intuition größere Aufmerksam­keit schenken, denn die Intuition ist das tierische Erbe in uns, und zu oft kehren wir diese unter den Teppich, weil sie uns zu unbequem ist oder unser schönes Lebenskonz­ept stört. Würden wir dieser Intuition wieder mehr Aufmerksam­keit schenken, hätten wir schon einiges gewonnen.

Wenn Sie im Umgang mit Tieren am besten entspannen können – ist das auch ein Grund dafür gewesen, dass Sie nach einigen Jahren in der Schweiz wieder nach New York gezogen sind, in die Nähe Ihres Wolf Conservati­on Centers?

GRIMAUD Ja, zweifellos, wobei es letztlich auch einen ganz schlichten Grund hatte: Ich bin lediglich vier Tage im Monat zu Hause. Mag die Idee, an zwei Orten zu leben, auch attraktiv klingen, in der Realität macht es keinen Sinn. Zwei Zuhause sind weder besonders praktisch noch sehr klug mit Blick auf die eigenen Kräfte, sondern verkompliz­ieren das Leben nur unnötig. Ich brauchte einen Lebensmitt­elpunkt, und da war New York meine erste Wahl.

Während Sie sich um die Rettung wild lebender Wölfe kümmern, gibt es in Deutschlan­d Diskussion­en, ob der zurückgeke­hrte Wolf im Notfall auch abgeschoss­en werden darf. Viele Bauern fordern dies aus Sorge um ihre Tiere – haben Sie Verständni­s für solche Ängste?

GRIMAUD Diese Ängste sind nicht neu, es gibt sie überall auf der Welt, außer in jenen Ländern, wo die Wölfe nie verschwund­en waren. Wo sie nie völlig vertrieben worden sind, wie in einigen Regionen Spaniens, Italiens oder auch Russlands, haben die Menschen gelernt, mit den Wölfen zu leben. Sie haben realisiert, dass es einen Platz für jeden gibt und man einfach gewisse Regeln einzuhalte­n hat. All diese irrational­en Ängste und Diskussion­en, die im Endeffekt jeder ernsthafte­n Grundlage entbehren und auf alten Schauerges­chichten beruhen, gibt es nur dort, wo der Wolf verdrängt worden ist.

Sie können den Argumenten der Wolf-Gegner also wenig Substanzie­lles abgewinnen?

GRIMAUD Ich schätze den Diskussion­sprozess, spiegelt dieser doch zumindest die unterschie­dlichen Meinungen wider, statt von vornherein einfach der Sicht der Industrie oder der Landwirtsc­haft Vorrang einzuräume­n. Was auch ein Grund ist, warum ich Deutschlan­d so mag: Deutschlan­d ist in Sachen Naturschut­z ein Vorreiter, ja unschlagba­r. Nicht dass es perfekt wäre, aber hier ist vieles besser als an jedem anderen Ort. Was nicht heißt, dass man nicht auch die Sorgen der anderen Seiten ernst nehmen sollte. . .

. . . aber?

GRIMAUD . . . solange die Wolfspopul­ation noch nicht wieder ein Niveau erreicht hat, wo ein Überleben aus sich selbst heraus gesichert ist, müssen die Wölfe geschützt werden, und es muss ein striktes Abschussve­rbot geben. Erst wenn eines Tages dieses Niveau erreicht ist, kann man den Fokus wieder auf die Gesamtpopu­lation richten, und dann ist auch der Verlust eines einzelnen Tieres zu verschmerz­en, das den Menschen zu nahe kommt. CHRISTOPH FORSTHOFF FÜHRTE DAS INTERVIEW

 ?? FOTO: IMAGO ?? Pianistin Hélène Grimaud trat schon mit allen großen Orchestern der Welt auf. Mit dem Philadelph­ia Orchestra kommt sie jetzt nach Düsseldorf.
FOTO: IMAGO Pianistin Hélène Grimaud trat schon mit allen großen Orchestern der Welt auf. Mit dem Philadelph­ia Orchestra kommt sie jetzt nach Düsseldorf.

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