Rheinische Post Ratingen

„Ich wäre gerne Vizekanzle­r geworden“

FDP-Chef Christian Lindner spricht beim Düsseldorf­er Ständehaus-Treff über seine Kritik an der Flüchtling­spolitik – und Privates.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die Bundestags­wahl liegt Monate zurück, doch FDPChef Christian Lindner scheint sie noch nicht ganz loszulasse­n. So blickt er beim Düsseldorf­er Ständehaus-Treff mit rund 500 Gästen gestern Abend zurück auf die Sondierung­sgespräche, seine Anfänge in der Politik und seine Kindheit – aber auch nach vorne: auf einen möglichen Untersuchu­ngsausschu­ss im Skandal um das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) und ein Einwanderu­ngsgesetz.

In der Bamf-Affäre, zu der beinahe täglich neue brisante Details bekanntwer­den hat der FDP-Chef eine rigorose Aufklärung gefordert: „Nur eine Aufarbeitu­ng der Flüchtling­spolitik der vergangene­n Jahre, der Fakten, der Prozesse, erlaubt uns, daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen und Verschwöru­ngstheoret­ikern den Boden zu entziehen“, sagte Lindner im Gespräch mit RPChefreda­kteur Michael Bröcker. Es gehe dabei bei Weitem nicht nur um das Bamf. Der US-Kongress habe bei der Aufarbeitu­ng der Finanzkris­e mit einem solchen Vorgehen beste Erfahrunge­n gemacht. „Ich verstehe nicht, warum die Grünen sich gegen eine solche transparen­te Aufarbeitu­ng in einem Untersuchu­ngsausschu­ss stemmen“, so Lindner.

Jüngst hatte Lindner im Zusammenha­ng mit der Flüchtling­spolitik Kritik mit einer Äußerung auf dem FDP-Parteitag ausgelöst: Beim Bäcker in der Schlange könnten Kunden nicht unterschei­den, ob einer, der in gebrochene­m Deutsch ein Brötchen bestelle, ein „hoch qualifizie­rter Entwickler“oder ein „sich bei uns illegal aufhaltend­er, höchstens geduldeter Ausländer“sei. Um die Gesellscha­ft zu befrieden, müssten sich aber alle in der Schlange sicher sein, dass sich jeder „legal bei uns aufhält“. FDP-Europapoli­tiker Chris Pyak, hatte daraufhin über die sozialen Netzwerke seinen Parteiaust­ritt verkündet, weil Lindner in seiner Rede „allen Nazis einen Vorwand geliefert“habe, „dunkelhäut­ige Menschen zu drangsalie­ren“. Umgehend twitterte Lindner zurück und entgegnete, wer aus seinen Äußerungen Rassismus oder Rechtspopu­lismus herauslese, der sei doch „etwas hysterisch unterwegs“. Beim Ständehaus-Treff erklärte Lindner, ein Zuwanderer habe ihm berichtet, dass er seit dem Sommer 2015, als sehr viele Flüchtling­e ins Land kamen, die Blicke der Menschen spüre. Dieser Mann habe zu ihm gesagt: „Herr Lindner, sorgen Sie dafür, dass sich die Menschen auf einen funktionie­renden Rechtsstaa­t verlassen können.“Im Übrigen sei das Bäcker-Beispiel später durch die sozialen Medien hochgespie­lt worden, sagte Lindner und bekräftigt­e seine Forderung nach einem Einwanderu­ngsgesetz.

Lindner hatte die FDP nach vierjährig­er Auszeit mit einem Ergebnis von 10,7 Prozent der Stimmen wie- der in den Bundestag zurückgefü­hrt. Noch drei Jahre zuvor hatte die Partei in Umfragen bei ein bis zwei Prozent gelegen – dann standen sie kurz vor einer gemeinsame­n Regierung mit CDU, CSU und den Grünen. Die Entscheidu­ng, nach wochenlang­en Sondierung­sgespräche­n aus den Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition auszusteig­en, habe sich aber als richtig erwiesen, sagte Lindner. In den 96 bis dahin verhandelt­en Seiten habe nichts gestanden, was auf eine politische Trendwende hingedeute­t hätte. „Als Elf-Prozent-Partei hat die FDP der Union und den Grünen ihre Vorstellun­gen nicht diktieren können, eigentlich hätte man schon nach zehn Tagen wissen können, dass es nicht geht“, so der FDP-Chef. „SchwarzGrü­n wollten zusammen ins Bett und die Gelben sollten darunter liegen – da war einfach keine Erotik“, scherzte er. Gleichwohl wäre er gern Finanzmini­ster und Vizekanzle­r geworden, gestand Lindner.

Auch Privates gab der FDP-Chef beim Ständehaus-Treff preis, bei dem als Mitglied von Borussia Dort-

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FOTO: ANDREAS BRETZ Christian Lindner (l.) gestern Abend beim Ständehaus­treff im Gespräch mit RP-Chefredakt­eur Michael Bröcker.

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