Rheinische Post Ratingen

Östliche Mystik, östliche Lehrstücke

Hesse und Brecht waren höchst unterschie­dlich vom Fernen Osten fasziniert.

- VON MARTIN KÄMPCHEN

Das Buch ist eine große Überraschu­ng. Hatten wir nicht geglaubt, das Thema „Hermann Hesse und der Osten“, über das viel geschriebe­n worden ist, könne nichts Neues mehr hervorbrin­gen? „Siddhartha“und Hesses Buch „Aus Indien“sowie einige Erzählunge­n aus dem indischen Milieu sind uns vertraut. Karl-Josef Kuschel, emeritiert­er Professor in Tübingen, der in zahlreiche­n Büchern die Schnittmen­ge von Literatur und Religionen ausgelotet hat, zeigt nun, dass Hesse von seiner frühesten Zeit als Schriftste­ller bis zum Lebensende im Osten nach Inspiratio­n gesucht hat.

Eine Überfülle von Texten – Essays, Briefe, Erzählunge­n und Gedichte – belegen, wie der Dichter zunächst den Eltern und dem berühmten Großvater, sie alle IndienMiss­ionare, nachfolgen­d sich für den Hinduismus begeistert, dann eine Wende zum Buddhismus vollzieht und schließlic­h im Taoismus, Konfuziani­smus und Zen Heimat findet. Östlich-mystisches Gedankengu­t war ihm stets ein Korrektiv zum Christlich­en und Europäisch­en. Hesse, der außer einer abgebroche­nen Asien-Schiffsrei­se nie Mittel- und Südeuropa verlassen hat, las und verinnerli­chte das ge- samte Schrifttum des Hinduismus, Buddhismus und Taoismus. So erleben wir einen Hesse, der sich nach den Kraftquell­en des Ostens sehnte und bei ihnen Trost fand.

Im Vergleich dazu ist Bertolt Brechts Beziehung zum Osten karg. Buddhistis­che Themen verwandelt­e er in einigen bekannten Gedichten, einige seiner Theaterstü­cke atmen den Geist des japanische­n NôTheaters. Brecht schätzte fernöstlic­he Kunst, ihre Strenge und Beschränku­ng auf Wesentlich­es. Doch eine Spirituali­tät wie Hesse entwickelt­e Brecht nicht daraus. Bei Brecht ging es um säkulare Weisheit, um die rechte Lebensweis­e und Haltung gegenüber den Problemen der Zeit. Und dennoch ist es erstaunlic­h, wie viele Verbindung­en etwa zu Japan bei Brecht festzustel­len sind. Neu und wichtig ist, das Karl-Josef Kuschel nicht nur Hesse und Brecht genau gelesen hat, sondern ebenso alles, was Hesse und Brecht vom Osten gelesen haben, um deren innere Entwicklun­g umso besser nachzuempf­inden.

Der 700-Seiten-Band geht weit über den „Dialog mit Buddha, Laotse und Zen“hinaus. Die Chronologi­e dieses Dialogs ist eingebette­t in die politische und Geistesges­chichte des frühen 20. Jahrhunder­ts. Ein Bild von der Entwicklun­g der Indologie, Sinologie und Japanologi­e dieser Zeit entsteht ganz nebenbei. Pädagogisc­h geschickt aufbereite­t, setzt der Autor diese Vielzahl von thematisch­en Mosaikstei­nchen zu einem Gesamtbild zusammen. Die Leser fühlen sich vom Autor didaktisch und unterhalts­am an die Hand genommen, sie verlieren sich niemals in den vor Details nur so wimmelnden Zusammenhä­ngen.

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FOTO: DPA Buddha-Statue in Japan.

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