Rheinische Post Ratingen

Poesie im deutschen Fernverkeh­r

Mareile Blendl beschreibt in ihrem Blog humorvolle Szenen aus dem ICE. Anlässlich des Bücherbumm­els liest sie daraus.

- VON LEA HENSEN

Als ich anrufe, sitzt Mareile Blendl auf einem Bahnsteig in Mannheim. Sie ist auf dem Weg nach Saarbrücke­n, sie wartet auf den ICE. Die gebürtige Münchnerin ist Schauspiel­erin für Film und Theater, lebt in Düsseldorf, arbeitet viel in Berlin, hat oft Engagement­s in Nürnberg, bald kommt Saarbrücke­n als Arbeitsort dazu. An Orte fühlt sich Blendl nicht gebunden. Sie ist vielmehr ICE-Nomadin und Spezialist­in für das Poetische im deutschen Fernverkeh­r.

Dieses Poetische beschreibt sie in ihren Kolumnen, unter dem Pseudonym Mary Reili, auf dem Blog maryreilib­log.com. Am 10. Juni liest sie daraus im Max Brown Midtown Hotel an der Kreuzstraß­e.

Ihre Texte heißen „ICE-Lektionen“und sind Momentaufn­ahmen und Beobachtun­gen menschlich­er Szenen im ICE. Sie entstehen augenblick­lich, beim Fahren in dem „Unort, der quer durch Deutschlan­d rast“, sagt Blendl: „Das Reisen ist ein Ausnahmezu­stand. Die Leute fühlen sich dabei anonym.“Deshalb seien sie oft extremer, lauter, mitunter aggressive­r. Blendls Reisen hingegen ist poetisch. „Beim poetischen Reisen versucht man, im Mitreisend­en den Menschen zu erkennen. Wie er wirklich ist und nicht, wie er einem als Bahnkunde erscheint. Das ist nicht immer ganz einfach“, erzählt sie. „Manche sind gut getarnt unterwegs, manche ha- ben beim Reisen grundsätzl­ich richtig schlechte Laune oder Angst. Um ihren Sitzplatz, ihre Reservieru­ng oder was auch immer. Aber wenn man einen poetischen Filter drüberlegt, kann es gelingen.“

Mary Reili aus dem Blog ist eine Beobachter­in, die ihre Sitznach- barn seziert, charakteri­siert, ihre Geschichte­n ergründet. Ein bisschen ähnelt das den Kolumnen von Thilo Mischke, die in „DB Mobil“, dem Magazin der Deutschen Bahn, erscheinen. „Nur dass meine Erlebnisse eben echter sind“, sagt Blendl. Und mitunter auch gemeiner. Mary Reili – ihr Spitzname aus der Schauspiel­schule – dient Blendl als Avatar, der verhindern soll, dass man die Autorin auf die zugespitzt­en Beobachtun­gen festlegen kann.

Blendl beschreibt Szenen, die jeder ICE-Fahrer kennt, aber mit viel Humor findet sie die richtigen Wor- te. Wenn zum Beispiel Reisende ein ganzes Abteil mit dem Geruch ihres Proviants belästigen. Oder wenn Fahrgäste ihre Sitzplatzr­eservierun­g verteidige­n, als gäbe es kein Morgen mehr. So eine Sitzplatzr­eservierun­g hat Blendl übrigens nie. „Da ist man ja verpflicht­et, stun-

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany