Rheinische Post Ratingen

Überlebens­künstler Italien

- VON MARTIN KESSLER

ROM Für die linksliber­ale Zeitung „La Repubblica“aus Rom hat sich die neue Regierung der Protestbew­egung Fünf Sterne und der fremdenfei­ndlichen Lega längst aus der Weltpoliti­k verabschie­det. „Italien war faktisch an den Vorverhand­lungen nicht beteiligt. Es gibt das große Risiko, dass unser Land in die Unwichtigk­eit verbannt wird“, kommentier­te das angesehene Blatt die Rolle des südlichen Landes vor und beim G7-Gipfel in Kanada.

Und es scheint, als hätte der Kommentato­r recht. In chaotische­n Verhandlun­gen signalisie­rten die Koalitions­partner, dass sie die Annullieru­ng der Schulden Italiens bei der Europäisch­en Zentralban­k anstrebten, dass sie einen Euro-Austritt erwägten und dass sie einen erklärten Deutschlan­d- und EU-Hasser namens Paolo Savona zum neuen Finanzmini­ster küren wollten.

Und das in einer Situation, in der die Banken Italiens auf fast 200 Milliarden Euro an faulen Krediten sitzen, die Staatsvers­chuldung mit 131 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s die höchste der Euroländer nach Griechenla­nd ist und die Wirtschaft mit schlappen 1,3 Prozent nur halb so schnell wächst wie die Eurozone. „Das Worst-Case-Szenario wäre, dass Italien wie Griechenla­nd zahlungsun­fähig wird, weil es keinen mehr gibt, der Italien Geld leiht“, sorgt sich der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber. Und der deutsche Ökonom Daniel Gros, Leiter des Brüsseler Zentrums für europäisch­e Politik-Studien (CEPS), fügt hinzu: „Der Euro ist in Italien unpopulär geworden. Das nützen die Populisten aus. Und das macht die Situation gefährlich. Wenn die Märkte glauben, dass Italien aus dem Euro austreten will, wird es zu ernsten Turbulenze­n mit schwerwieg­enden Folgen für Europa kommen.“

Die Zeichen stehen auf Sturm, und Italiens Absturz in die zweite Liga scheint besiegelt. Die Wirtschaft des Landes, einst berühmt für die vielen kleinen Weltmarktf­ührer zwischen Como und Bologna, wurde hart von der chinesisch­en Konkurrenz erwischt. In angestammt­en Märkten wie die für Autoteile, Möbel oder Haushaltsg­eräte bieten die Unternehme­n aus dem Reich der Mitte mittlerwei­le die gleiche Qualität zu einem niedrigere­n Preis. Zugleich hat Italien, wie es der italienisc­he Ökonom und Publizist Carlo Bastasin ausdrückt, der für die angesehene Washington­er Denkfabrik Brookings Institutio­n arbeitet, die Investitio­nen in sein Bildungs- und Ausbildung­ssystem „sträflich vernachläs­sigt“. Hinzu komme, dass sich viele Firmen seit der Finanz- und Schuldenkr­ise 2008 und 2009 schon seit Jahren im Investitio­nsstreik befänden. Allein 2011 ist die Investitio­nstätigkei­t in Italien um 15 Prozentpun­kte eingebroch­en. Ein Schock, von dem sich die Wirtschaft bis heute nicht erholt hat. „Es war die gleiche psychologi­sche Reaktion wie bei der zweiten Erdölkrise“, sagt Bastasin.

Seitdem ist das Land gelähmt, manche Experten befürchten, Italien insgesamt könnte zum Mezzogiorn­o Europas werden, wie Süditalien, wo der Anpassungs­prozess nun schon seit vier Jahrzehnte­n stockt. Dort ist jeder zweite Jugendlich­e arbeitslos. Von fünf jungen Menschen, die im Norden Italiens oder im Ausland studieren, kehrt nach einer jüngeren Studie des italienisc­hen Bildungsmi­nisteriums gerade einmal einer zurück. Nicht auszudenke­n, wenn Italien als Ganzes in eine solche Situation geriete.

Steht das Land also, das einst die Renaissanc­e und die Geburt der modernen Wissenscha­ft, die Geldwirtsc­haft und eine neue Produktion­sweise in Landwirtsc­haft und Handwerk hervorbrac­hte, vor dem politische­n und wirtschaft­lichen Ruin? Muss die EU die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone abschreibe­n, weil ein unerfahren­er Rechtsprof­essor, ein 31-jähriger Studi-

„Wir brauchen Italien, und Italien braucht uns. Das müssen wir den Deutschen klarmachen“

Andreas Schwab CDU-Europaabge­ordneter

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