Rheinische Post Ratingen

Lufthansa-Flug 697 aus Erbil

Am Ende geht alles viel schneller als erwartet: Keine 48 Stunden nach seiner Festnahme im Norden des Iraks ist der mutmaßlich­e Mörder der 14-jährigen Susanna, Ali B., wieder in Deutschlan­d.

- VON MIRIAM BANDAR UND EVA KRAFCZYK

FRANKFURT/MAIN (dpa) Es braut sich etwas zusammen. Dunkle Gewitterwo­lken hängen am Samstagabe­nd über Frankfurt, als Lufthansa-Flug 697 aus Erbil auf einer Außenposit­ion landet. An Bord ist der 20-jährige Ali B., des Mordes an der 14-jährigen Susanna verdächtig. Kurdische Polizisten hatten ihn im Irak festgenomm­en und in die Maschine gesetzt. Nur eine Woche nach seiner Flucht kehrt Ali B. damit unfreiwill­ig nach Deutschlan­d zurück. Hier hat der Fall die Debatte über die Flüchtling­spolitik auf eine neue hochemotio­nale Ebene gehoben. Viele befürchten nun eine weitere pauschale Verurteilu­ng von Flüchtling­en.

„Das wird sehr, sehr schlechte Folgen für unsere Leute haben“, sagt der Iraker Diyar B. Haji, der mit demselben Linienflug wie Ali B. aus Erbil kommt. Er leitet nach eigenen Angaben ein Flüchtling­scamp für Jesiden im Irak und fürchtet nun, dass die Bundesregi­erung künftig generell weniger Bereitscha­ft zeigt, Menschen aus arabischen Ländern aufzunehme­n. Auch die Stimmung in der Gesellscha­ft könnte sich ändern. Für Menschen im Irak gelte Deutschlan­d als einer der sichersten Orte der Welt, auf den viele ihre Hoffnung setzen. Die Jesiden sind eine von der Terrormili­z Islamische­r Staat besonders brutal verfolgte Minderheit.

Von der Tat hat Haji am Flughafen erfahren, im Flieger sah er Ali B. in Handschell­en und abgeschirm­t von Polizisten. „Es ist eine ganz furchtbare, respektlos­e und zu verurteile­nde Sache“, sagt er über das Verbrechen. Deutschlan­d sei für ihn ein Garant für die Menschenre­chte. Mit der ihm zur Last gelegten Tat habe Ali B. diese Werte zu zerstören versucht. Ein anderer junger Iraker, der aus Erbil kommt, findet, Deutschlan­d solle nicht jeden aufnehmen: „Ihr solltet genau hinschauen, wen ihr akzeptiert“, ist sein Rat.

Ob Ali B. eine Ahnung hat, welche Wellen die Tat geschlagen hat, die er den kurdischen Polizisten im Irak gestanden haben soll? Der Fall Susanna erinnert an Freiburg, wo ein Flüchtling eine junge Frau vergewalti­gte und sie ertrinken ließ. Er erinnert an Kandel, wo ein Asylbewerb­er aus Afghanista­n unter Verdacht steht, kurz nach Weihnachte­n die 15 Jahre alte Mia erstochen zu haben, bald beginnt der Prozess. Jetzt werden schnell Parallelen gezogen. Das Muster scheint gleich: ein grausames Verbrechen. Ein totes Mädchen. Ein beschuldig­ter Flüchtling. Aus dem Verbrechen wird ein politische­r Krimi, der das Land in Atem hält – mit Schauplätz­en von Mainz über Berlin bis in den Irak. Der Fall politisier­t und polarisier­t so schnell und laut wie selten zuvor.

Ali B. habe angespannt und nervös gewirkt, berichtet die RTL-Korrespond­entin Kavita Sharma, die mit an Bord des Flugzeugs war. Der 20-Jährige habe in der vorletzten Reihe gesessen, abgeschirm­t von Bundespoli­zisten. Auch Behördench­ef Dieter Romann war zugegen. Insgesamt seien höchstens 20 andere Passagiere an Bord gewesen, berichten mehrere Mitreisend­e. Ali B. sei während des rund viereinhal­bstündigen Flugs trotz der Anspannung eingeschla­fen. Bei der Landung in Frankfurt warten ein Polizeihub­schrauber und ein Streifenwa­gen. Alle anderen Passagiere hätten zuerst das Flugzeug verlassen müssen, erzählt Sharma. Ali B. sei sitzengebl­ieben, ein Bus brachte die Reisenden zum Terminal. Maskierte Polizisten führten ihn zu einem Polizeihub­schrauber, der flog Ali B. ins nah gelegene Wiesbaden. Dort führen Polizei und Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en zum Mordfall Susanna. Auch beim Abflug von Ali B. aus Frankfurt zucken Blitze am Himmel. Das Gewitter hat sich noch nicht verzogen.

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FOTO: DPA Polizisten eskortiere­n den mutmaßlich­en Mörder Ali B.

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