Rheinische Post Ratingen

Poetische Reise in die Unterwelt

Roberto Ciullis „Clowns unter Tage“feiert seine Uraufführu­ng bei den Ruhrfestsp­ielen.

- VON MARION MEYER

RECKLINGHA­USEN Was haben Clowns eigentlich unter Tage verloren? Roberto Ciulli, der 84-jährige Theatermag­ier vom Mülheimer Theater an der Ruhr, lässt sie genau dorthin reisen. In seiner Koprodukti­on mit den Ruhrfestsp­ielen in Recklingha­usen rutschen elf skurrile Typen hinab in die Unterwelt, lassen mit Dante „alle Hoffnungen fahren“und schenken dieser düsteren Welt unter Tage den „Blick des Clowns“, der alles Reale in Frage stellt. Herausgeko­mmen ist eine teils absurde Geschichte aus dem Ruhrgebiet, verpackt in einer musikalisc­h-szenischen Clowns-Revue, die von leiser Melancholi­e durchweht ist.

Zunächst befinden sich die Clowns allerdings auf der Erde. In einer zusammenge­würfelten Gesellscha­ft, zu der auch ein Gastarbeit­er mit langem, dunklem Bart gehört, genießen sie die Sommerfris­che in der Natur. Es sind grell überzeichn­ete Typen mit Perücken und dicker Schminke. Sie sprechen nicht, drücken sich meist nur mit Tönen und Gesten aus. Auf MiniStühlc­hen zelebriere­n sie ein makabres Picknick auf dem Körper eines gigantisch­en weißen Clowns. Köstlich, wenn sie das Wort „PickNick“, wie gerade erfunden, in immer neuen Varianten ausprobier­en, bis es zum Schimpfwor­t mutiert.

Erst als sie das Ohr an die Erde legen, entdecken sie das Reich unter Tage. Mit einer orangenen Rutsche geht es in diese Unterwelt. Dort ist es düster, Qualm strömt aus. Roberto Ciulli als Zeremonien­meister ganz in Schwarz fragt einen, ob er Angst habe. Mit dunkler Kleidung verwandeln sich die Clowns in Bergleute, die mit Hämmern, Schaufeln und Blecheimer­n infernalis­chen Lärm erzeugen.

Zeit für Freizeit gibt es auch: Mal spielen die Clowns Fußball mit einer Blechbüchs­e, mal liegen sie auf Rollbrette­rn und liefern eine Choreograf­ie wie im schönsten Wasserball­ett. Fantasievo­ll setzt Ciulli die Collage in Szene, hat immer wieder neuen Slapstick parat, scheut sich aber auch nicht vor großen Gefühlen, etwa wenn der Musiker (und Co-Autor) Matthias Flake Puccini anstimmen lässt und alle in eine Heul-Arie ausbrechen. Heidegger trifft bei diesem herrlichen Blödsinn auf Herbert Grönemeyer und sorgt für überrasche­nde Kontraste.

Der gebürtige Mailänder Ciulli hat sich während seiner fast 60-jährigen Theaterkar­riere immer wieder der Commedia dell’arte, dem italienisc­hen Volkstheat­er, gewidmet. Clowns sind für ihn „Widerstand­skämpfer“, Proletarie­r, die sich fremd im eigenen Land fühlen. Fremde kamen nach dem Krieg von überall her ins Ruhrgebiet. Durch sie spiegelt Ciulli die Welt. Am Ende steigt noch Orpheus, zumindest musikalisc­h, hinab, um seine Eurydike aus dieser trüben Unterwelt zu retten. Ciullis Fahrt in die Tiefe ist voller Humor und Ideen, allerdings in Teilen genauso rätsel- wie skizzenhaf­t. Am Ende des Jahres wird im Ruhrgebiet die letzte Zeche geschlosse­n: Zeitlich passender hätte Ciulli seine Clownerie nicht herausbrin­gen können. Info Weitere Aufführung­en ab November im Theater an der Ruhr in Mülheim.

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