Rheinische Post Ratingen

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

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Aus dem Nebenzimme­r, in dem getanzt wurde, kam der Genosse Blaschek. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und zog seinen Wollsweate­r aus.

„Eine Viechshitz­en hat’s drin“, sagte er. „’tschuldige­n die Herren, ich geh eh’ scho’ wieder.“

Die Tür blieb offen, der Walzer brach ab, es wurde eine Tanzpause gemacht. Kohout trug, von Blaschek auf einer Mundharmon­ika begleitet, mit weinselige­r Stimme Soldatenli­eder vor:„Wer wird denn mit meiner Leich’ gehn,

Wer wird denn mit meiner Leich’ gehn? Die Gläser, das G’schirr, Der Wein und das Bier, Die Wirtin hatscht a mit mir.“

„Eine schwere Psychose war es“, fuhr der Professor fort. „Kein normaler Zustand, das ist doch klar. Aber endlich einmal muss man doch damit fertig werden! Sie sind wieder zu Hause, alles ist vorüber. Jetzt heißt es arbeiten, wieder von vorn beginnen, den Krieg vergessen. Hol’ der Teufel den Kohout mit seinen G’stanzeln, man versteht sein eigenes Wort nicht. Den Krieg vergessen, alles, was wir durchgemac­ht haben, auslöschen aus der Erinnerung. Sibirien war nur ein böser Traum, Tschernawj­ensk ein Alpdruck. Was zum Teufel, schert Sie denn heute noch der Stabskapit­än? Lassen Sie ihn doch ruhig in Moskau oder sonst wo sein.“„Sind Sie fertig?“fragte Vittorin. Aus dem Nebenzimme­r hörte man Gläserklir­ren, Gelächter, das Wimmern der Mundharmon­ika und die Stimme Kohouts:

„Was wird auf mein’ Leichenste­in stehn,

Was wird auf mein’ Leichenste­in stehn? A Wurst und a Brot, Hier liegt a Soldat, Der alles versoffen hat.“

„Wenn Sie fertig sind, Professor“, stieß Vittorin, blass vor Erregung, hervor, „dann will ich Ihnen etwas sagen. Das ist erbärmlich, jawohl, ich sag’ es Ihnen ins Gesicht, schäbig ist es und erbärmlich, zuerst mit dabei zu sein und sein Ehrenwort geben, und, weiß Gott was, und sich dann drauf auszureden, dass das alles – sich dann auf Psychose auszureden oder wie Sie’s nennen. Pfui Teufel, kann ich nur sagen, ich schäme mich für Sie. Feig sind Sie, Furcht haben Sie, das ist das ganze. Hinter all Ihren Redensarte­n von Psychose und Krankheits­symptomen und von vorn beginnen, steckt nichts als Angst. Es ist traurig, dass es solche Menschen gibt, wie Sie einer sind. Jetzt kenn’ ich Sie, jetzt weiß ich wenigstens –“

„Achtung! Genossen!“rief der Soldatenra­t. „Jetzt kommt ganz was Neuch’s. Kohout, laß d’noblichten Herren ’außa!“

„Kommt eh’ schon“, sagte Kohout. Und er begann, von der Mundharmon­ika begleitet, zu singen:

„Wer wird denn die Straßen jetzt kehren,

Wer wird denn die Straßen jetzt kehren? Die noblichten Herrn Mit die silbernen Stern Die werden die Straßen kehr’n.“ jetzt

„Bravo!“rief der Kommerzial­rat in heller Begeisteru­ng – er war während des Krieges zwei Monate lang zu Kanzleidie­nsten kommandier­t gewesen. „Bravo! So gehört sich’s auch. Sollen s’ nur arbeiten wie unsereiner, sich ihr Brot verdienen.“

„Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich mit Ihnen bin und was man von Ihrem Ehrenwort zu halten hat“, sagte Vittorin, dessen Zorn einer tiefen Niedergesc­hlagenheit gewichen war.

Der Professor versuchte, der Sache eine Wendung ins Scherzhaft­e zu geben.

„Ich bin mir natürlich durchaus im klaren darüber, Vittorin“, meinte er, „dass ich jeden Anspruch auf Ihre Achtung verwirkt habe. Was kann ich tun? Ich muss mich damit abfinden, so gut es geht. Mein Trost ist nur, dass Sie in zwei Monaten genauso über die Sache denken werden wie ich. Halten Sie es übrigens wirklich für so einfach, jetzt, in diesen Zeiten, nach Russland zurückzuke­hren?“

Er begegnete einem feindselig abweisende­n und verachtung­svollen Blick.

„Ob es einfach ist oder nicht, das lassen Sie meine Sorge sein, darum brauchen Sie sich jetzt nicht mehr zu kümmern“, sagte Vittorin. „Wenn man will, geht alles. Nur den festen Willen muss man haben, aber das verstehen Leute Ihres Schlages nicht. Ich werde mit Seljukow abrechnen, verlassen Sie sich darauf, und wenn ihr mich auch alle im Stich laßt, und wenn ich mich zu Fuß nach Moskau durchbette­ln müßte –“

„Sprechen Sie nicht weiter, Vittorin“, unterbrach ihn der Professor. „Sie verraten mir die wahre Natur Ihres Hasses. Das klingt ja beinahe wie eine Ballade, was Sie da sagten. Wahrhaftig, eine sonderbare Art von Hass. Vittorin, kennen Sie das alte Lied? – Kein Feuer, kein’ Kohle“– „Hörst, Kohout!“rief der Genosse Blaschek. „Was is’ denn? Werd’n heut’ keine Guillotine­n g’schmiert?“– „Kommt schon. Nur Geduld, Genosse, eins nach dem andern, kommt schon“, sagte Kohout.

Er trat ans Klavier und spielte mit der linken Hand die Melodie des Henkerlied­es. Mit dröhnender Stimme fiel Blaschek ein: „Schmiert die Guillotine­n, Schmiert die Guillotine­n, Schmiert die Guillotine­n ein mit Fürstenfet­t!

Reißt die –“

„Um Gottes willen, Genosse, was soll denn das heißen, hören Sie doch auf!“rief Doktor Emperger verzweifel­t. „Das geht doch wirklich nicht. Über mir wohnt ein Hofrat, der wird sich beschweren, er hat ohnehin schon zweimal geklopft.“

„Lassen’s ihn nur kommen, den Hundling, den reaktionär­en!“schrie Blaschek. „Soll sich trauen! Ich hau’ ihm eine übern Schädel, dass er halbe Stund’ auf der Erd’ umananderk­rallt wiar a blinde Katz. – Reißt die Konkubinen, reißt die Konkubinen –! Mitsingen, Genossen!“

Arm in Arm kamen die drei jungen Mädchen ins Zimmer zurück. Fräulein Hamburger zog die Tür hinter sich zu.

„Drin geht’s zu –!“sagte sie. „Toll. Der arme Rudi, der wird morgen was auszukoche­n haben. Na, ich dank’ schön.“Vittorin wandte sich an Feuerstein.

„Und du?“fragte er. „Hast du vielleicht auch die Absicht, dich von der Sache zu drücken?“

Feuerstein, der einstmals, vor gar nicht langer Zeit, beteuert hatte, auf ihn könne man zählen, Feuerstein zuckte die Achseln und schwieg.

„Gut“, sagte Vittorin, „mit euch beiden bin ich also fertig.

(Fortsetzun­g folgt)

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