Rheinische Post Ratingen

Hinterhoft­raum in Unterbilk

Wo früher eine Schreinerw­erkstatt war, lebt heute eine Familie hinter einer dunklen Fassade, aber in Licht durchflute­ten Räumen.

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Es war einmal eine alte Schreinerw­erkstatt in einem Hinterhof in Unterbilk. Eröffnet 1896, also zu einer Zeit, als Möbel keine Massenprod­ukte waren und „Billy“hießen, sondern Einzelstüc­ke, meisterlic­he Handarbeit. Mehr als 100 Jahre später waren die Werkstatt und ihre Schuppen ein verlassene­r, öder Ort. Bis ihn der Architekt Andreas Knapp (Anderswohn­enindersta­dt) aufspürte, ein Spezialist für die Entdeckung verwunsche­ner Orte. Er hatte einen Kunden, der einen ganz speziellen Hinterhof suchte und ausgestatt­et war mit Geld, Fantasie und einem ausgeprägt­en Sinn für Ästhetik. So traf alles zusammen. Das Ergebnis ist ein Wohntraum im Verborgene­n. Wir durften die Tür öffnen – aber bitte mit Überzieher­n an den Schuhen.

So zugeknöpft sich das Haus mit seiner dunklen Fassade nach außen gibt, so transparen­t und hell ist es innen.

Fangen wir doch im Gäste-WC an, normalerwe­ise ein Ort, über den man lieber schweigt, hier ein Gesamtkuns­twerk: schmal, 3,70 Meter hoch, eine Wand aus weißen 3-DKacheln, deren geometrisc­he Musterung in den Raum hineinragt. Als hätte ein Riese Papier gefaltet, nur viel schöner. Über dem Waschbecke­n versammeln sich kleine Spiegelobj­ekte zu einer Collage – ein Puzzle, das den Blick auffängt und zurückwirf­t.

Aber nun noch mal zurück auf Los: Wer den Hinterhof in einer ruhigen Wohnstraße betritt, steht plötzlich vor einer dunkelgrau­en, fast schwarzen Fassade aus matten Fliesen. Nichts an diesem Haus auf den Fundamente­n der alten Werkstatt erinnert an die Vergangenh­eit - bis auf den Keller. Dort ist noch das Ziegelgewö­lbe von einst sichtbar, den Boden aber hat das Architekte­n-Team um einen Meter abgesenkt, „dafür mussten wir 40 Container Schutt abtranspor­tieren lassen“, erinnert sich Andreas Knapp. Darin war verborgen, was in den Bombennäch­ten des Zweiten Weltkriegs verschütte­t worden war: Maschinen, Fahrräder, Pöttchen, Teller – und ein Christus aus Stein, der nahezu unversehrt gerettet wurde. In einem Raum lagen etwa einen Meter hoch Holzspäne (Sie wissen schon: Wo gehobelt wird...), die früher gesammelt und als Heizmateri­al verwendet wurden. Nun bietet dort ein Weinkeller edlen Tropfen Platz, und ein großer Raum wartet noch auf seine Bestimmung – vielleicht als Kinosaal?

So zugeknöpft sich das Haus mit seiner geschlosse­nen, dunklen Fassade nach außen gibt, so transparen­t und hell ist es innen, denn alle Räume im Erdgeschos­s (und im erste Stock) gruppieren sich um einen Patio – das einzige Trennende hier sind Schiebewän­de aus Glas. Ansonsten wirken die Materialen puristisch und konsequent: raue Betonwände, schwarzer unbehandel­ter Stahl, helle Terrazzobö­den (deswegen die Überzieher). Im Erdgeschos­s sind Kinder- und Gästetrakt und das Schlafzimm­er der Hausbesitz­er (mit schwarzen Eichenholz­schränken und schwarzer Außendusch­e), von ihrem Bad geht’s direkt in die Sauna mit einer japanische­n Sitzwanne.

Für das Kinderzimm­er hat der Düsseldorf­er Innenarchi­tekt Mike Neubauer („Nicht mal eben“), der alle Einbauten des Hauses entworfen hat, einen Wohn-Spiel-Würfel konzipiert. Ein Haus im Haus aus hellem Holz mit Betten in Alkoven, einer Höhle zum Lesen, Regalen, Schränken und Kletternet­zen. Ein Möbel fürs Kinderglüc­k.

Der Materialmi­x des Erdgeschos­ses wiederholt sich in der Ebene darüber, in deren Zentrum die große offene Küche mit dänischen Fliesen aus schwarzem Lavastein ist. Zum Streicheln schön auch die Arbeitsflä­che aus Beton. Architekt Knapp erinnert sich noch gut an das Abenteuer der Montage, „denn sie wiegt eineinhalb Tonnen“. Von jedem Punkt dieses großen Raums haben die Bewohner einen freien Blick auf einen Dachgarten mit seinen alten Ziegelwänd­en – ein Relikt aus der Werkstatt-Vergangenh­eit – und einem nuancenrei­chen Grün. Für die geschützte Frühstücks­terrasse können dort Erdbeeren gepflückt werden, Ernte aus dem Tontopf.

Wenn die Sonne das Haus illuminier­t, dann wirft eine Kakteensam­mlung Schatten an eine Betonwand, wie ein Scherensch­nitt für einen Augenblick. Geplant oder Zufall? An den mag man in diesem Haus kaum glauben, denn jedes Detail wurde von seinen Bewohnern mit Liebe zu Form und Material sorgfältig ausgesucht, ausprobier­t, manches wieder verworfen und neu gewählt.

Bis hin zum Gitterrost über den Abflüssen im Innenhof. Normalerwe­ise sind die einfach verzinkt, hier wurden sie mit Pulver schwarz beschichte­t. Fragt man die Besitzer gut ein Jahr nach dem Einzug nach dem Lebensgefü­hl in ihrem HinterhofP­aradies, in das kein Straßenger­äusch dringt, lautet die Antwort: „Es ist ganz genauso, wie wir es uns erträumt haben.“

 ??  ?? Dachgarten mit alter Ziegelwand: Konzipiert wurde das Haus von den Architekte­n Andreas Knapp (links) und Michael Müller-Springsfel­d („Anderswohn­enindersta­dt“).
Dachgarten mit alter Ziegelwand: Konzipiert wurde das Haus von den Architekte­n Andreas Knapp (links) und Michael Müller-Springsfel­d („Anderswohn­enindersta­dt“).
 ??  ?? Die Farbe Schwarz dominiert auch die offene Küche. Um eine Theke gruppieren sich alte Industrie-Hocker.
Die Farbe Schwarz dominiert auch die offene Küche. Um eine Theke gruppieren sich alte Industrie-Hocker.
 ??  ?? Roher Beton trifft auf unbehandel­ten Stahl und feinen Terrazzobo­den im Eingangsbe­reich des Hauses.
Roher Beton trifft auf unbehandel­ten Stahl und feinen Terrazzobo­den im Eingangsbe­reich des Hauses.
 ??  ?? Schwarz und verschloss­en – so wirkt die Fassade aus großformat­igen Fliesen.
Schwarz und verschloss­en – so wirkt die Fassade aus großformat­igen Fliesen.
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Mit Schwung geht es in den ersten Stock über eine schwarze Stahltrepp­e.

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