Rheinische Post Ratingen

Die SPD hält sich den Spiegel vor

Ein Expertente­am hat die Wahlnieder­lage der Sozialdemo­kraten untersucht. Das Zeugnis ist schonungsl­os und die Hoffnung groß.

- VON JAN DREBES

BERLIN Es gibt leichtere Termine, als der Hauptstadt­presse eine Sammlung des eigenen Versagens im Wahlkampf auf dem Silbertabl­ett zu präsentier­en. SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil übernahm gestern diese Aufgabe und trat am Nachmittag vor die Journalist­en. Stundenlan­g hatte er zuvor mit den Mitglieder­n der Parteispit­ze und des Vorstands über die Ergebnisse diskutiert. Fazit: Vor den Sozialdemo­kraten liegt reichlich Arbeit, wenn sie den eigenen Absturz aufhalten wollen. Sonst könnte die Talfahrt bei derzeit unter 20 Prozent Zustimmung noch nicht zu Ende sein.

Der Bericht umfasst mehr als 100 Seiten. Ein unabhängig­es Team von fünf Autoren aus dem Bereich Wahlforsch­ung, Kampagnene­ntwicklung und Journalism­us hat ihn erstellt. So etwas gab es in der deutschen Parteienge­schichte noch nicht, Klingbeil war der Ideengeber. Doch jetzt ist Andrea Nahles am Zug. Die Partei- und Fraktionsc­hefin muss beweisen, dass die Partei unter ihrer Führung tatsächlic­h Konsequenz­en zieht.

Als „Kardinalfe­hler“nennt Parteichef­in Andrea Nahles bereits die wiederholt­e Nominierun­g des Kanzlerkan­didaten in einer „Sturzgebur­t“. So wurden Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz erst wenige Monate vor den Bundestags­wahlen und ohne auf sie zugeschnit­tene Kampagnen nominiert. Mit Blick auf die Bundestags­wahl 2021 kündigte Nahles an: „Wir wollen die Spitzenkan­didatur früher und geordneter klären, als das bisher der Fall war.“Auf ein genaues Datum wollte sich die Parteichef­in noch nicht festlegen.

Ihre weiteren Schlussfol­gerungen aus der Analyse: Nahles will künftig strategisc­h planen, mit welchen Themen die SPD sich in der Öffentlich­keit platziert. „Erkennbark­eit braucht Priorität“, sagt sie. Auch sollen die Sozialdemo­kraten nicht mehr monatelang interne inhaltlich­e Streitigke­iten austragen. „Haltung braucht Klarheit“, ist dafür ihre Marschrich­tung. So wie man in der Russlandfr­age eine Parteilini­e festgelegt hat, soll das beispielsw­eise auch beim Thema Flüchtling­e und Migration gelingen.

Bis zum nächsten Bundestags­wahlkampf will die Parteichef­in zudem einen „visionären Überschuss“erzeugen – sprich, Konzepte jenseits der Tagespolit­ik vorlegen. Nahles spricht davon, die „Fenster zu öffnen“und sich Anregungen auch von Nicht-Parteimitg­liedern zu holen. Nahles zielt für die Zukunft auf mehr langfristi­ge Planung und weniger Taktik.

In der Analyse „Aus Fehlern lernen“geht es ans Eingemacht­e. Die Sozialdemo­kraten haben sich zwar vorgenomme­n, nicht mehr mit dem Finger aufeinande­r zu zeigen, die Verantwort­lichen werden aber dennoch klar benannt – sonst wäre die Analyse auch nicht schonungsl­os. Beschriebe­n wird, wie der frühere Parteichef Sigmar Gabriel jede langfristi­ge Strategiep­lanung im Keim erstickte. „Ganz offensicht­lich glaubte Parteichef Gabriel nie an solche Strategien.“Zu allen drei Generalsek­retärinnen seiner Amtszeit, Yasmin Fahimi, Katarina Barley und Andrea Nahles, sei das Verhältnis „nach kürzester Zeit zerrüttet“gewesen. Er habe seine Beratungss­trukturen um die Generalsek­retärinnen herum geplant oder in ihre Zuständigk­eiten eingegriff­en. Diesen wiederum war nicht bekannt, wer gerade den Parteichef berät. „Die Kampagnenf­ähigkeit der SPD nahm so in den vergangene­n acht Jahren nachhaltig Schaden“, heißt es in der Analyse. Als Versäumnis se- hen die fünf Autoren es auch, dass der Rest der Parteiführ­ung nicht den Mut gehabt habe, dem Parteichef Einhalt zu gebieten, als er sein „Erstzugrif­fsrecht“für die Kanzlerkan­didatur missbrauch­te und damit die gesamte Partei zur „Geisel seiner Launen, Selbstzwei­fel und taktischen Manöver“gemacht habe.

Aus der Analyse geht hervor, dass im Willy-Brandt-Haus in den vergangene­n Jahren fast nichts reibungslo­s lief: Es gab keine funktionie­renden Führungsst­rukturen, keine Absprache und konkurrier­ende Machtzentr­en. Im Wahlkampf

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FOTO: GETTY Der Wahlabend 2017: Kanzlerkan­didat Martin Schulz (M.) bei der Pressekonf­erenz mit (v.l.) Katarina Barley, Manuela Schwesig, Andrea Nahles und Barbara Hendricks.

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