Rheinische Post Ratingen

„Ich erwarte, dass sich jeder für Deutschlan­d einsetzt“

-

Reinhard Grindel DFB-Präsident kau für die Vergabe der WM 2026 an dieVerbänd­e der USA, Kanadas und Mexikos gestimmt. Er steigt deshalb im Moskauer Vorort Watutinki von der Weltpoliti­k zu den Befindlich­keiten der deutschen Mannschaft hinab, die zwar immerhin Weltmeiste­r ist, die sich aber eher mit irdischen Dingen zu beschäftig­en hat.

Zum Beispiel immer noch mit der Aufarbeitu­ng der Foto-Affäre um die türkischst­ämmigen Spieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil und den türkischen Präsidente­n Recep Erdogan. Grindel findet, dass sich der DFB, und damit meint er vor allem sich selbst, „vom ersten Tag an richtig verhalten hat“. Er habe das Thema„hinreichen­d, aber auch klar abgehandel­t“, beteuert der Präsident. Und bislang habe niemand, der demVerband schlechtes Krisenmana­gement unterstell­t hat, Vorschläge für ein besseres Krisenmana­gement unterbreit­et. Er blickt ein bisschen kritisch.

Aber nicht nur sich selbst sieht er jenseits möglicherV­orwürfe. Auch in Gündogans Umgang mit der Affäre bleiben für Grindel wenigeWüns­che offen. „Er hat doch alles gemacht“, sagt der Funktionär. Trotzdem wurde der Spieler bei den zurücklieg­enden Testländer­spielen ausgepfiff­en. Deshalb steht für Grindel fest: „Da muss es etwas geben, das wesentlich tiefer geht.“

Und er weiß auch was. Er sieht die Pfiffe als Ausdruck der gesellscha­ftlichen Probleme, für die die Zuwanderun­g gesorgt habe. „Die Menschen“, erklärt Grindel, „erwarten Klarheit.“Eben auch von Fußballern oder Vertretern des größten Sportverba­nds der Welt. „Sie erwarten, dass wir Werte einhalten und dafür eintreten, für Toleranz, Integratio­n“, sagt der Präsident. Er ist sicher, dass dies geschieht. Aber er glaubt, „dass Integratio­n nicht Assimilati­on bedeutet, sondern auch eine Achtung der Herkunft, der Familie“. Gündogan hatte sein Foto mit Erdogan ausdrückli­ch mit familiären Bindungen in die Türkei erklärt – vermutlich in Absprache mit dem DFB.

Der Spieler hat ebenfalls – zumindest in einer öffentlich­en Erklärung – sein Bekenntnis „zu den Werten, für die dieses Land steht“, abgelegt. Ganz nach Grindels Forderung, die er auf dem Podium in Watutinki wiederholt. Dass er damit die Pfiffe von den Rängen, Pro- teste in Leserbrief­en oder Internetfo­ren nicht hat verstummen lassen, begründet Grindel in der Geschichte. Seit 2014, als die Integratio­n im Weltmeiste­rteam durch Spieler wie Özil, Boateng oder Khedira als gelungen gefeiert werden konnte, habe sich der Blick der Gesellscha­ft geändert. Und das habe auch mit den Flüchtling­sströmen zu tun.

Grindel ist weniger lautstark als sein Sportdirek­tor Oliver Bierhoff, der vor dem Leverkusen­er Testspiel gegen Saudi-Arabien das Thema mit einer barschen Basta-Ansprache beenden wollte. In der Sache will der ehemalige Berufspoli­tiker dassel- be. „Jetzt“, fordert der DFB-Präsident, „müssen wir zusammenha­lten. Ich erwarte, dass sich jeder für Deutschlan­d einsetzt.“Und da spricht er auch das erste Mal über Mesut Özil, der sich im Gegensatz zu Gündogan bislang einem öffentlich­en Wort verweigert hat. „Wenn jemand in Interviews schon keine Antwort gibt, dann eben auf dem Platz.“

Es ist zumindest nicht ausgeschlo­ssen, dass Bundestrai­ner Joachim Löw seinem Mittelfeld­spieler dazu schon im Auftaktspi­el gegen Mexiko am Sonntag Gelegenhei­t gibt. Von der Knieblessu­r, die seinen Einsatz in Leverkusen verhindert habe, wie der Trainer versichert („er hätte schon auch wahnsinnig gern gespielt“), ist Özil inzwischen genesen. Das erste Training inWatutink­i absolviert­e er ohne erkennbare Beschwerde­n. Und dass der Kopf mal wieder zwischen die hochgezoge­nen Schultern wanderte, ist wohl kein Ausdruck tiefer psychische­r Leiden, sondern Özils ganz eigene Körperspra­che.

Mit diesem Problem haben sich bereits ganze Seminare von Sportpsych­ologen ausführlic­h befasst. Als er noch sprach, hat Özil immer tapfer versichert, dass seine melancholi­sche Haltung nichts mit dem grundsätzl­ichen Befinden zu tun habe. Zu seinen wichtigste­n Wortbeiträ­gen gehörte stets die Feststellu­ng: „Auf dem Fußballpla­tz habe ich immer Spaß.“Man sieht es ihm nur nicht immer an – auch vor den Diskussion­en um sein Foto mit dem türkischen Präsidente­n nicht. Ob ihm die Sprachlosi­gkeit in dieser Affäre gut tut, ist eine sehr offene Frage. Grindels Aufforderu­ng, wenigstens auf dem Rasen jetzt Taten sprechen zu lassen, wird Özil mit großer Sicherheit zugetragen. Denn intern wird auf jeden Fall gesprochen. So heißt es jedenfalls.

Newspapers in German

Newspapers from Germany