Rheinische Post Ratingen

INFO Lesung im GerhartHau­ptmann-Haus

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finde ich vor allem diese sogenannte Antifa. Angesichts der Frauen und Männer, die im antifaschi­stischen Kampf gegen den Hitlerterr­or ihr Leben gelassen haben, sollten diese Krawallmac­her sich schämen.

Und im Alltag?

HAHN Da gefällt mir nicht, wie sogenannte Sekundärtu­genden, vor allem Disziplin, Rücksichtn­ahme, höflicher Umgang als uncool diffamiert werden. Schließlic­h funktionie­rt jedes Miteinande­r, im Großen wie im Kleinen, nur so.

Würden Sie sagen, dass die Poesie Sie am Ende von großen Irrtümern eines orthodoxen Denkens befreit hat?

HAHN Unbedingt. Meinem Bruder verdanke ich, dass es noch einige Matrizenbl­ätter gibt: auf der Vorderseit­e, gedruckt, irgendein politische­s Pamphlet, auf der Rückseite mit Kuli gekrakelt meine ersten Gedichtver­suche. Mein erstes gedrucktes Gedicht „Mein Vater“, 1973 im Reclam Verlag, Leipzig erschienen, enthält bereits wesentlich­e Motive meines Romanzyklu­s. Ich habe dieses Anders-Sprechen mithin schon damals gebraucht, um mich von diesen verordnete­n sprachlich­en und gedanklich­en Korsetts zu befreien.

Sind Sie manchmal irritiert darüber, wie intensiv heute an die Zeit der Studentenr­evolte gedacht wird?

HAHN Nein, diese Zeit hat ja etwas durchaus Exotisches. Ein Kritiker schrieb, die Schilderun­gen der damaligen Zeit in meinem Roman „Wir werden erwartet“muteten stellenwei­se an wie eine Reise in das ferne China. Mir erging es beim Schreiben nicht anders. Meine Lektorin, drei- Die Lesung Sonntag, 17. Juni, 11 Uhr, im Literaturb­üro NRW, Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Bismarckst­raße 90; die Lesung moderiert Michael Serrer. Der Eintritt ist frei. Das Buch „Wir werden erwartet“. DVA, 640 Seiten, 28 Euro ßig Jahre jünger als ich, wollte manches erst glauben, nachdem sie sich via Google davon überzeugt hatte.

Wie groß ist die Gefahr einer musealen Vereinnahm­ung?

HAHN Vieles, wofür wir damals kämpften, ist heute eine Selbstvers­tändlichke­it. Das gilt besonders für die Rechte der Frauen. Sie sind die wahren Gewinner dieser Aufbruchph­ase. Auch das bringe ich in den Romanen immer wieder zur Sprache. Den Glauben von damals, dass wir gemeinsam etwas voranbring­en können, dürfen wir nicht ins Museum verbannen. Wohl aber die traumtänze­rischen Aktionen und erstarrten Ideologien. Darüber dürfen wir nachsichti­g lächeln.

Noch einmal „Lommer jonn“; was bedeutet Ihnen der Satz heute?

HAHN Wie schon gesagt: In Bewegung bleiben, offen für Neues. Auch für neue Blicke auf Vergangene­s. Es kommt darauf an, den Ballast der Vergangenh­eit in Proviant umzuwandel­n: Lommer jonn. LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW,

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