„Vielen war die Problematik gar nicht richtig bewusst. Da wurde ‚Jude‘ nicht als Schimpfwort interpretiert“
Alex Feuerherdt Kölner Schiedsrichter-Ausschuss
„Wir sind vorher nie mit Antisemitismus in Berührung gekommen“, sagt Boris Zagrebelsky. Er ist im Vorstand des jüdischen Vereins, der neben Fußball auch eine Vielzahl anderer Sportarten anbietet. „Egal ob beim Fußball, Volleyball, Basketball oder Turnen – wir hatten bis dato nur gute Erfahrungen im Düsseldorfer Sport gemacht“, sagt Zagrebelsky. Umso entsetzter reagierte der Verein auf die Schilderungen seiner Spieler. Demnach soll der Torwart eines Gegners schon beim Betreten des Maccabi-Sportplatzes durch den Ausruf „Wo sind die Juden?“aufgefallen sein. Nach einem Platzverweis soll es schließlich zu den Beleidigungen gekommen sein.
Der beschuldigte Düsseldorfer Verein* weist die Vorwürfe scharf zurück: Keiner der anwesenden Trainer und Spieler habe die mutmaßlichen Beleidigungen mitbekommen oder bestätigt. Laut Maccabi soll auch der Schiedsrichter der Partie nach dem Spiel erklärt haben, von dem mutmaßlichen Vorfall nichts mitbekommen zu haben.
Beim Fußballverband Niederrhein blieben mehrere Anfragen unserer Redaktion bezüglich etwaiger Ermittlungen des Sportgerichts unbeantwortet. Gleiches gilt für einen Brief des Maccabi-Vorstands an den Verband.„Diese Reaktion finden wir befremdlich, die Beleidigungen sollen deutlich zu hören gewesen sein und bleiben nun wohlmöglich unbestraft“, sagt Zagrebelsky.
Sollte dem so sein, wird der mutmaßliche Vorfall auch nicht in einer vom Deutschen Fußball-Bund geführten Statistik erfasst. Seit zwei Jahren zählt der Verband dort unter anderem diskriminierende Vorfälle. In der Saison 2016/2017 gab es davon bundesweit 2858 bei insgesamt rund 1,3 Millionen erfassten Spielen. Zahlen für antisemiti- sche Vorfälle werden nicht separat geführt, sie fallen unter die Diskriminierungsfälle.
Zahlreiche Regional-Verbände erklären auf Anfrage unserer Redaktion, dass keinerlei antisemitische Vorfälle bekannt seien. Der Fußballverband Südbaden teilt beispielsweise mit: „Das spezielle Problemfeld Antisemitismus ist für unseren Bereich sportrechtlich als nicht vorhanden anzusehen.“Gleichzeitig betonen die Verbände zahlreiche Projekte gegen Diskriminierung und die drastischen Strafen für jene, die negativ auffallen. So drohen Spielern für antisemitische Beleidigungen beispielsweise mehrwöchige Spiel-Sperren.
Noch weiter ging im September 2015 der Kölner Verein ESV Olympia: Nachdem mehrere Zuschauer und Spieler der dritten Mannschaft in einem Kreisliga D-Spiel Akteure von Maccabi Köln antisemitisch beleidigten, meldete der Verein die Mannschaft später vom Spielbetrieb ab, vier Spieler wurden suspendiert, die Zuschauer erhielten ein Platzverbot für die ESV-Spiele.
„Durch diesen Vorfall ist das Thema bei uns nochmal auf die Tagesordnung gekommen. Wir haben Schulungen für unsere Schiedsrichter eingeführt, um für das Thema Antisemitismus und Diskrimi- nierung zu sensibilisieren“, sagt Alex Feuerherdt. Er sitzt im Kölner Schiedsrichter-Ausschuss und sagt: „Vorher herrschte eine große Unsicherheit, wie mit dem Thema Beleidigung und Diskriminierung umzugehen ist. Da wurde dann auch eher mal weggehört, um keine Probleme zu bekommen.“Die Reaktionen der über 400 Unparteiischen auf die Schulung seien deshalb auch äußerst positiv gewesen. „Vielen war die Problematik vorher gar nicht richtig bewusst. Da wurde ‚Jude‘ nicht als Schimpfwort interpretiert, als solches wird es aber verbreitet benutzt“, sagt Alex Feuerherdt.
Die Täterschaft ist dabei vielfältig. Im Düsseldorfer Kreisliga-Spiel soll ein Deutscher für die Beleidigungen verantwortlich gewesen sein. Alon Meyer, Präsident des jüdischen Turn- und Sportverbands Maccabi in Deutschland, sieht heute aber vor allem muslimisch geprägte Vereine in der Verantwortung. „Es gibt Mannschaften, da wissen wir genau, was uns erwartet“, sagt Meyer. Aus den Großstädten im Westen Deutschlands seien ihm zuletzt verstärkt Vorfälle zwischen Maccabi-Vereinen und arabischen Gegnern gemeldet worden.
„Mit dem Zuzug vieler Flüchtlinge ist das Thema Antisemitismus grundsätzlich speziell im Fußball wieder gewachsen“, sagt Meyer. „Viele Geflohene sind mit den Feindbildern Judentum und Israel aufgewachsen. Dieses Feindbild müssen wir gemeinsam abbauen.“Dafür müssten die Vereine in ihrem Engagement „noch eine Schippe drauf legen“. Meyer sagt: „Wir wollen weiterhin mit dem David-Stern auf der Brust Sport treiben. Wenn das als provozierend empfunden wird, lassen wir uns die Arbeit und das Selbstverständnis der letzten Jahrzehnte kaputt machen.“ *