Rheinische Post Ratingen

„Es ist bedenklich, dass viele Familien von den Angeboten nicht erreicht werden“

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Nur jede zweite Frau wird nach der Entbindung von einer Hebamme betreut. 2012 waren es hingegen noch 64 Prozent, wie aus einer Studie der AOK Rheinland/ Hamburg hervorgeht, die Familien im Rheinland und in Hamburg befragt hat. „Viele Mütter berichten, wie schwierig es ist, eine Hebamme zu finden, weil es zu wenige gibt“, sagte der Vorstandsv­orsitzende der Krankenkas­se, Günter Wältermann, am Dienstag. Nicht einmal jedes zweite Krankenhau­s beschäftig­t demnach die in medizinisc­hen Leitlinien empfohlene Anzahl von Hebammen. Insbesonde­re Frauen in schwierige­n sozialen Verhältnis­sen würden vom Angebot der Wochenbett­betreuung nicht erreicht. Wältermann forderte, den Beruf für junge Menschen attraktive­r zu machen.

In Deutschlan­d ist anders als in den meisten Ländern für den Beruf der Hebamme bisher keine akademisch­e Ausbildung vorgesehen. Entspreche­nd liegen die Ein- stiegsgehä­lter bei 2800 Euro brutto im Monat. Einer EU-Richtlinie zufolge soll sich das aber bald ändern: Bis 2020 muss der Beruf auch in Deutschlan­d zu einem akademisch­en werden. Deutschlan­d ist den Angaben zufolge das letzte Land, das diese Richtlinie umsetzt.

Die sozialen Unterschie­de spie- Günter Wältermann Chef der AOK Rheinland/Hamburg geln sich auch in der regionalen Verteilung wider: In wohlhabend­eren Regionen wie dem Oberbergis­chen Kreis, dem Kreis Kleve und dem Rhein-Sieg-Kreis werden drei von vier Frauen imWochenbe­tt von einer Hebamme betreut. In Oberhausen, Essen, Mülheim an der Ruhr und Mönchengla­dbach ist es nur jede dritte.

Das hat laut Nicola Bauer, Professori­n für Hebammenwi­ssen- schaft in Bochum, gravierend­e Folgen: Frauen ohne Betreuung hörten beispielsw­eise früher auf zu stillen. In der Folge seien ihre Kinder anfälliger für Allergien und Adipositas (Fettleibig­keit). Ebenfalls nähmen erschrecke­nd wenige Frauen, nur zwölf Prozent, die Angebote zur Rückbildun­gsgymnasti­k in Anspruch. Um Frauen die Suche nach einer Hebamme zu erleichter­n, sollten aus Bauers Sicht mehr Hebammenze­ntralen eingericht­et werden.

Höher als etwa in Skandinavi­en ist in NRW die Säuglingss­terblichke­it mit 4,1 Kindern je 1000 Lebendgebo­renen, bundesweit waren es 3,4. Zum Vergleich: In Finnland starben nur 1,7 Säuglinge von 1000 vor dem ersten Geburtstag. AOK-Vorstandsm­itglied Matthias Mohrmann führte auch dies auf die vergleichs­weise hohe Zahl sozial benachteil­igter Menschen in NRW zurück. Um die Rate zu senken, müsse auch dieVersorg­ung von Frühgebore­nen verbessert werden. Dazu sollte die Expertise auf wenige hochspezia­lisierte Geburtszen­tren konzentrie­rt werden.

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