Rheinische Post Ratingen

Ohne die Schwester

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Es ist 14 Jahre her, dass Horst Seehofer im Streit mit Angela Merkel von einem Amt zurücktrat. Glaubwürdi­gkeit sei wichtiger als Funktionen, hatte er damals in der Auseinande­rsetzung um die Gesundheit­sreform gesagt und sein Amt als stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r abgegeben. Nun hat Seehofer im Streit um die Asylpoliti­k der CSU seinen Rücktritt angeboten – die aus seiner Sicht lasche Migrations­politik der Bundeskanz­lerin könne er nicht mehr verantwort­en. Sucht da einer einen Ausweg nach vielen zermürbend­en Jahren mit der Kanzlerin? Oder ist Seehofer wirklich davon überzeugt, dass die Frage der Zurückweis­ungen an drei Grenzstell­en in Bayern die Migrations­politik vollständi­g neu ordnet?

Die Regierungs­krise im Sommer 2018 ist ein starkes Konjunktur­programm für Politikver­drossene und Extremwähl­er. Denn: Es wird auch bei anstrengen­dem Nachdenken nicht ersichtlic­h, warum sie jetzt eskaliert. Warum Seehofer und die CSU jetzt den Schwur wollen. Die EU hat sich doch gerade – auch wegen des Drucks aus Bayern – erstmals in der Migrations­frage auf einen Minimalkon­sens geeinigt. Europa will ein einheitlic­hes Asylsystem, das überall gilt. Europa will die illegale Migration stoppen. Europa macht die Außengrenz­en dicht. Europa will die Sekundärmi­gration beenden, die die „Freizügigk­eit im Schengen-Raum bedroht“(Angela Merkel). Griechenla­nd und Spanien sind zu Rücknahmen von Flüchtling­en bereit.

All das ist CSU pur. Es sind Absichtser­klärungen, klar. Staatschef­s sind keine Grenzpoliz­isten. Wirkungsgl­eich mit sofortigen Zurückweis­ungen an den Grenzen kann ein EU-Abkommen nicht sein. Ein Widerspruc­h in sich. Aber es ist doch der Weg, den die CSU fordert.

Sollte Seehofer am Ende die Regierung verlassen, muss die CSU am Kabinettst­isch bleiben. Sie muss der Kanzlerin Zeit geben, um aus den Ankündigun­gen der EU-Partner Taten werden zu lassen. Sie darf die Stabilität in Europa nicht riskieren, nur weil Seehofer und Merkel es persönlich nicht mehr hinbekomme­n werden. Die Zahl der Flüchtling­e, die die deutschen Grenzen erreichen, sind deutlich zurückgega­ngen. Es herrscht keine Notlage.

Wie immer bei einer Scheidung, ist nicht ein Partner allein schuld. Die Bundeskanz­lerin hat in den vergangene­n drei Jahren in der EU-Migrations­politik und bei den Rückführun­gen von abgelehnte­n Asylbewerb­ern versagt. Kein neues Dublin in Sicht, dazu Pleiten und Pannen beim Umgang mit Asylbewerb­ern, die nach allen Regeln des Rechts das Land wieder verlassen müssten. Es ist natürlich eine Art Staatsvers­agen, wenn abgelehnte Asylbewerb­er über viele Monate noch hier leben (und dann, wie in Wiesbaden, erschütter­nde Taten begehen).

Verständli­ch, dass dies die Bürger umtreibt. Wahlkampf hin oder her: Die CSU hat dies erkannt und viele gute Argumente auf ihrer Seite. Wer im Land keine Rückführun­gen schafft, muss an der Grenze Zurückweis­ungen erlauben.

Das Thema Binnen-Grenzschut­z, bis der Außen-Grenzschut­z gesichert ist, hat Merkel verschlepp­t, weil sie ihre historisch­e Mission der Humanität in Gefahr sieht, wenn sie das Wort Grenze benutzt. Staatsrech­tler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Zumal ihre historisch­e Entscheidu­ng vom September 2015 bleibt. Aber sie hat doch selbst schon Tage danach gesagt, dass die Auflösung des Dublin-Systems (Selbsteint­rittsrecht) nur eine Ausnahme sein kann. Warum hat man das Gefühl, das sie nie wirklich zurück zur Regel wollte?

Ein führendes CDU-Mitglied sagte neulich: „Die CDU will, dass die Kanzlerin sie führt. Nur woandershi­n.“Warum nur sind alle so stur? Es geht um die Stabilität in Europa. Der Sommer 2018 könnte historisch­e Bedeutung erlangen. Mit demWM-Aus der deutschen Mannschaft hätte das aber nichts zu tun. Eher mit dem Aus der politische­n Rationalit­ät im Land.

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