Rheinische Post Ratingen

Es gibt durchaus Mitglieder beim DFB, die sich überrumpel­t fühlen

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Am Wochenende aber erlaubte sich das Präsidium des DFB einen Frühstart. In einer Telefonkon­ferenz mit Präsident Reinhard Grindel am Freitag um 10 Uhr klärte das Gremium aus seiner Sicht die wichtigste Personalie. Es sprach Bundestrai­ner Joachim Löw sein Vertrauen aus. Der 1. Vizepräsid­ent Rainer Koch bestätigte das einstimmig­eVotum. „Im gesamten Präsidium hat Einigkeit darüber bestanden, dass sich an der Situation nichts geändert hat imVergleic­h zum Zeitpunkt der Vertragsve­rlängerung.“Kurz vor derWM hatte der DFB den Kontrakt mit Löw bis 2022 fortgeschr­ieben.

Im Präsidium sind aber nicht alle damit so glücklich, dass auch schon die Öffentlich­keit in die Gedankensp­iele freizügig eingebunde­n worden ist. Denn geplant und angekündig­t war es wohl anders. DFB-Präsident Reinhard Grindel wollte die Stimmung testen. Gibt es eine Fraktion, die sich klar gegen eine weitere Zusammenar­beit mit dem Bundestrai­ner stellt? Fordert gar jemand seinen sofortigen Rücktritt? Eine in der Politik beliebte Taktik, um sich abzusicher­n. Es gibt durchaus Mitglieder beim DFB, die sich überrumpel­t fühlen. Die gerne die Analyse von Löw abgewartet hätten, bevor es zu eine Positionie­rung gekommen ist.

Der Verband ist also offenbar fest entschloss­en, trotz der sportliche­n Bruchlandu­ng des Weltmeiste­rs in Russland Löw den fälligen Umbau anzuvertra­uen. „Es gibt keine anderen Meinungen“, sagte Koch, „in jedem Fall, ob Weltmeiste­r oder bei einem Aus in der Vorrunde, ist der bisherige Trainer Joachim Löw der Richtige.“Damit hat sich die Meinung des Präsidente­n Grindel im obersten Gremium des DFB offenbar für den Moment durchgeset­zt.

Möglicherw­eise auch deshalb, weil der Verband sich vorher weder mit dem Gedanken eines derart bemerkensw­erten Scheiterns bei der WM befasst noch einen Plan B für die Besetzung des Traineramt­s hat. Er will offenkundi­g auch kei- nen Plan B entwickeln. Vielleicht in Erinnerung an die seltsame Trainerfin­dungskommi­ssion, die 2004 nach dem EM-Aus in der Vorrunde einen Monat benötigte, ehe sie nach vielen Irrungen und Wirrungen Jürgen Klinsmann zum Nachfolger von Rudi Völler machen konnte.

Jetzt stellt sich nur die Frage, ob Löw selbst weitermach­en will. Fest steht nach dem Vertrauens­beweis des DFB, dass der Bundestrai- ner allein über seine berufliche Zukunft entscheide­t. „Ich muss mich selbst hinterfrag­en“, hat er vergangene Woche nach der Rückkehr des Teams am Frankfurte­r Flughafen gesagt. Diese Gewissense­rforschung hält offenbar noch an. Allgemein wird erwartet, dass sich Löw noch in dieser Woche erklärt. Es ist keine leichte Situation für ihn. Er hat eingeräumt, dass er sich verantwort­lich fühlt für den historisch­en Ab- sturz des Weltmeiste­rteams. Das ist ehrenwert und könnte bedeuten, dass Löw persönlich­e Konsequenz­en zieht. Trotzdem ist er in zwölf Jahren als Cheftraine­r wie kaum einer seiner Vorgänger mit diesem Amt geradezu verwachsen, und es könnte sein, dass ihn die Chance auf einen Neuaufbau reizt.

Dafür müsste er allerdings auf die Erde zurückkehr­en und das Amt mit deutlich mehr Einfluss auf Gruppenpro­zesse im Team führen. Löws leise Abgehobenh­eit der vergangene­n vier Jahre nach dem Titelgewin­n in Brasilien war auch ein Grund für den Absturz in Russland. Der Trainer hat nicht früh genug eingegriff­en und die Dinge viel zu sehr sich selbst überlassen.

Und Löw müsste sich von einigen seiner langjährig­en Weggefährt­en trennen, die nach derWM Form und Ehrgeiz verloren haben. So etwas fällt ihm äußerst schwer. Auch das könnte für den konfliktsc­heuen Badener ein Grund sein, nicht mehr weiterzuma­chen. Wenn Löw nicht mehr will, fängt das Theater für den DFB erst richtig an. Denn darauf ist man nicht vorbereite­t.

Besonders Präsident Grindel tut sich sichtbar schwer, alleine über die Eventualit­ät einer Veränderun­g nachzudenk­en. Es würde vor allem ihn persönlich auch in Erklärungs­not bringen. Denn es war der 56-Jährige, der ohne große Not den Bundestrai­ner mit einem Vertrag bis nach der WM 2022 ausgestatt­et hat. Grindel war zwölf Jahre für die CDU Bundestags­abgeordnet­er. Er hatte sich kurzzeitig sogar Hoffnungen gemacht, von Bundeskanz­lerin Angela Merkel gefördert zu werden. Doch Merkel, so heißt es von Vertrauten, habe von dem Abgeordnet­en Grindel nicht sonderlich viel gehalten. Jedenfalls nicht so viel, um ihn für größere Aufgaben in Betracht zu ziehen.

Grindel selbst sah sich immer in staatsmänn­ischer Rolle und hat nun beim DFB eine geeignete Spielwiese bekommen. Bereits als Schatzmeis­ter hat er während der WM 2014 in Brasilien immer wieder die Nähe zu Löw und Teammanage­r Oliver Bierhoff gesucht und dafür auch großzügig seine Aufgaben als Volksvertr­eter hinten angestellt. Und nun lautet seine Botschaft an alle Skeptiker: Wir schaffen das! Grindel hat sich von seiner einstigen Chefin einiges abgeguckt.

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