Rheinische Post Ratingen

„Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Mesut Özil verzichtet“

-

Oliver Bierhoff Manager der DFB-Auswahl nehmlich durch eine sehr zurückhalt­ende Spielweise bereits nach der Vorrunde verabschie­dete, legen die hohen Herren des Verbands große Schnelligk­eit an den Tag. Noch bevor irgendwer auch nur mit der allseits geforderte­n gründliche­n Analyse des historisch­en Absturzes beginnen konnte, erklärte das Präsidium Trainer Joachim Löw sein Vertrauen. Sechs Tage nach dem Ausscheide­n war Löw von diesem Vertrauens­beweis so sehr gerührt, dass er sich zumWeiterm­achen entschloss.

Da durfte der Nationalma­nnschaftsd­irektor natürlich nicht im Startblock hängenblei­ben. Sein tempogelad­ener Beitrag zur Aufarbeitu­ng der peinlichen Geschichte von Moskau und Kasan ist ein Interview mit der Tageszeitu­ng „Die Welt“. Bierhoffs zentrale Aussage in diesem Gespräch: Die Teamleitun­g hätte die Foto-Affäre der türkischst­ämmigen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan „klarer aufarbeite­n müssen“. Die richtige Konsequenz zu Özils Verweigeru­ngshaltung wäre gewesen: „Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Mesut Özil verzichtet.“

Das ist eine bemerkensw­erte Einsicht. Weil sie dem Manager sechs Wochen zu spät kommt, darf man durchaus den Verdacht hegen, dass diese Erkenntnis einer billigen Schuldzuwe­isung dient. Bierhoff weiß, dass die Aufräumarb­eiten im Verband personelle Konsequenz­en haben müssen. Und um sich schon mal aus der Schusslini­e zu bringen, zeigt er auf Özil. Er weiß nämlich auch, dass der Mittelfeld­spieler bei großen Teilen des Publikums unten durch ist.Wegen der Erdogan-Affäre, wegen seiner sturenVerw­eigerungsh­altung und wegen schwacher fußballeri­scher Leistungen. Gern wird in diesem Zusammenha­ng von interessie­rten Kreisen die melancholi­sche Körperspra­che des Mittelfeld­spielers zum Thema gemacht. Und ebenso gern wird übersehen, dass Özil im letzten Gruppenspi­el gegen Südkorea in einer rundherum schlechten Mannschaft noch einer der weniger schlechten Spieler war.

Der DFB-Direktor Bierhoff redet aber bewusst einer Mehrheit das Wort, ohne von der inneren Wahrheit seiner These überzeugt zu sein. Denn wäre er das, dann hätte er kraft seines Amts viel eher Druck auf Özil ausüben können. Bierhoff aber ge- hörte zu jenen, die sehr bald und ziemlich unwirsch ein Ende der Diskussion­en um Özil verlangten. Deshalb ist das, was er nun tut, nichts als Populismus.

Die Anbiederun­g an eine vermeintli­che Mehrheitsm­einung folgt dem Zweck, bei den fälligen Renovierun­gsarbeiten im DFB der starke Mann zu bleiben. Dem smarten Fußballges­chäftsmann Bierhoff ist selbstvers­tändlich nicht verborgen geblieben, dass er namentlich in konservati­ven Verbandskr­eisen Gegner hat, die nun Angriffsfl­ächen erkennen. Um sich in Deckung zu bringen, leistet sich Bierhoff sogar den Verstoß gegen ehrenwerte Selbstverp­flichtunge­n. Eine hat er im Gespräch mit der „Welt“genannt: Er werde „nicht einzelne Spieler oder Mitarbeite­r an den

Newspapers in German

Newspapers from Germany