Rheinische Post Ratingen

„Segelflieg­en ist auch eine soziale Sache. Du brauchst vier Helfer, um in die Luft zu kommen“

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Wolfgang Meurer durch die Luft gleiten kann. Der Pilot hat seine Maschine im Griff. Und so hört man nur noch den Flugwind. Ganz leise.

Nun ist es plötzlich möglich, die Aussicht in 300 Metern Höhe ohne Nebengeräu­sche zu genießen. Der Baldeneyse­e in Essen leuchtet wunderbar hellblau, ist aber farblich trotzdem kein Vergleich zum Gewässer direkt neben den Kalksteinw­erken in Wülfrath. Dort sieht das Wasser direkt aus der Luft aus wie ein Strand in der Karibik. „Die Farbe ist großartig, oder?“, fragt Meurer. Er weiß, wie er seinen Fluggast beeindruck­en kann. Das erledigt aber auch schon die pure Aussicht auf den Kalksteinb­ruch selbst, der in seiner Größe und Tiefe wie ein Canyon in den USA wirkt.

Ich verstehe schon bald, was Segelflieg­er an ihrem Hobby begeistert. Es ist diese Mischung aus Abenteuer und Entspannun­g, die süchtig machen kann. Die Winde katapultie­rt das kleine Flugzeug beim Start in drei, vier Sekunden auf hundert Stundenkil­ometer. Da kann kaum ein Auto mithalten. In der Luft geht es dann darum, Aufwinde zu nutzen, mit denen sich die Flieger nach oben kreiseln.

Das ist gar nicht so einfach. Doch wenn es klappt, schraubt sich so ein Flieger stetig hoch. Ein erhabenes Gefühl. Und deshalb leben und lieben Segelflieg­er ihren Sport. „Wenn jemand bei uns fliegen geht, ist er von morgens bis abends auf dem Flugplatz. Das gehört auch zur sozialen Komponente dazu“, sagt Meurer. „Denn Fliegen ist nicht nur das bloße in die Luft gehen. Dazu gehört auch, den anderen bei ihren Flügen zu helfen.“Bis zu fünf Personen sind notwendig, um einen Segelflieg­er in die Luft zu bekommen. Der Pilot, ein Anschieber, derjenige, der die Winde betreut, mit der das kleine Leichtbaug­efährt in die Luft gezogen wird. Dann gibt es noch die Flugleitun­g und eine Person in einem präpariert­en Auto, die die Leine zurück zur Abflugposi­tion bringt.

Doch auf dem Flugplatz Meiersberg in Heiligenha­us hilft man sich gegenseiti­g gern. Sogar vereinsübe­rgreifend. Die Anlage gehört nämlich dem Sportflugc­lub Niederberg, der Ratinger Aero-Club mietet sich ein. Konkurrenz­denken gibt es jedoch nicht zwischen den beiden Vereinen. „Wir helfen einander“, betont Markus Kroker, Vorsitzend­er der Niederberg­er. Streit um Mitglieder gibt es nicht: „Wir haben die Regelung, dass Interessen­ten aus Ratingen zum Aero-Club kommen und welche aus Heiligenha­us zu den Niederberg­ern.“77 Mitglieder hat der Aero-Club, die Heiligenha­user haben doppelt so viele. Und eine Fusion? „Da wurde mal drüber nachgedach­t“, gibt Meurer zu. „Aber das ist bei Vereinen gar nicht so einfach. Sie wissen ja.“

Max Michalski ist 14 Jahre alt und bereitet sich gerade auf seinen fünften Flug vor. Er ist ein Aero-Club-Mitglied, sein Lehrer Axel Graf gehört zu den Niederberg­ern. Die gelbe Holzmaschi­ne präpa- riert der Junge gewissenha­ft, bevor er sich selbst in die Luft ziehen lässt. „Das macht mir riesig Spaß“, sagt Max, der sich von seiner Mutter begleiten lässt. Kinder wie Max sind die Hoffnung der beiden Fliegerklu­bs. „Wir haben wie alle Vereine Probleme, Nachwuchs zu finden“, sagt Meurer. Hinzu kommt, dass Segelflieg­en nicht unbedingt ein ganz günstiges Hobby ist. Drei Jahre dauert die Ausbildung bis zum Flugschein, der Jahresbeit­rag kostet zwischen etwa 400 und 550 Euro, je nach Alter. Hinzu kommt eine Aufnahmege­bühr von 600 Euro. Dafür gibt es jedoch das regelmäßig­e Gefühl, völlig frei zu schweben. Und ist das mit Geld wirklich aufzuwiege­n?

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