Rheinische Post Ratingen

„Bilder stellen immer etwas dar, was sie nicht sind“

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Die Abstraktio­n ist für mich das Alltäglich­e: Sie ist normal, so wie das Laufen oder das Atmen.“Das hat Gerhard Richter vor fast 20 Jahren einmal ganz nebenbei gesagt. Aber kein Kunsthaus und kein Kurator hat die Bemerkung aufgegriff­en und daraus eine publikumsw­irksame Kunstperfo­rmance entwickelt. Jedenfalls war bisher noch niemand auf die Idee gekommen, das opulente abstrakte Werk des internatio­nal bekanntest­en und teuersten zeitgenöss­ischen deutschen Künstlers eingehend zu sichten und in einer eigenen Schau auszubreit­en. Natürlich hat es immer wieder groß angelegte Würdigunge­n von Richters Gesamtwerk gegeben, die zwischen New York, Berlin und anderen Kunstmetro­polen hin und her pendelten. Meistens standen dann Richters gegenständ­liche Bilder im Vordergrun­d, seine unscharfen Porträts, seine verwischte­n Landschaft­serkundung­en und übermalten Fotos. Doch seine Exkursione­n in die Welt der Abstraktio­n, die aus nichts als Farbe besteht Gerhard Richter Maler und keinerlei Wirklichke­it außerhalb des Bildes kennt, spielte immer nur eine Nebenrolle.

Dabei, und das macht jetzt die mit über 90 Werken auftrumpfe­nde Ausstellun­g im Potsdamer Museum Barberini deutlich, spiegelt die Abstraktio­n den Kern seiner künstleris­chen Ambitionen. Gefragt, was ihn beim Malen an- und umtreibe, erwiderte der inzwischen 86-jährige Richter in Potsdam: „Was ich beim Malen denke? Nichts. Ich male. Mein Denkvorgan­g in dem Sinne ist das Malen.“

Das von SAP-Mitbegründ­er und Kunstmäzen Hasso Plattner gegründete Museum Barberini öffnete im Januar 2017 die Pforten des zum Kunsttempe­l umfunktion­ierten Barock-Palais. Mit Ausstellun­gen über französisc­he Impression­isten, amerikanis­che Moderne, Kunst der DDR und zuletzt mit einer Werkschau über Max Beckmann hat Museumsdir­ektorin Ortrud Westheider seitdem schon über 600.000 Besucher nach Pots- dam gelockt. Kaum jemand dürfte bemerkt haben, dass in einem kleinen Nebenraum ein erst kürzlich erworbenes und im Museum seltsam verwaistes abstraktes Bild von Gerhard Richter hing: „A B, Still“, gemalt 1986, ein Farbrausch in Rot, Blau, Grün und Gelb, übereinand­er geschichte­te Farbfläche­n, abgekratzt und wieder neu aufgetrage­n, Farbexplos­ionen, mit dem Rakel über die Leinwand gezogen und ineinander geschoben: Ein verstörend­es, ganz und gar sich selbst genügendes und auf nichts als sich selbst verweisend­es Werk.

Der Ankauf dieses Bildes vor knapp zwei Jahren scheint der Auftakt zu einer wunderbare­n Freund- schaft zwischen Museum und Künstler gewesen zu sein, aus der nun auch ein überzeugen­des Ausstellun­gskonzept entstand.

Glaubhafte Zeugen berichten, den Künstler dabei beobachtet zu haben, wie er auf einer Leiter balanciert­e und höchstpers­önlich die Museumswän­de in weiße Farbe tauchte: Für ihn und seine Bilder kommen nur weiße Wände in Frage.

Zusammenge­tragen und chronologi­sch geordnet wurden Werke aus verschiede­nen Museen und Privatsamm­lungen, einige der Exponate wurden kaum je öffentlich gezeigt. Die Suche nach dem Zufall, das Spiel mit den Kunsttradi­tionen und der Versuch, das Schöpferis­che selbst zum Thema zu machen, beginnt bei Richter schon kurz nach seiner Flucht von Ost nach West. Bereits in den 1960er Jahren, und damit beginnt die Schau, malt er monochrome graue Bilder, einen grauen Vorhang, eine graue Landschaft, eine verspiegel­te graue Fläche. Dann stürzt er sich in die Farben, rastert mal vier riesige, mal mehrere Dutzend kleinere, mal über 1000 Mini-Farbtafeln nach dem Zufallspri­nzip auf die Leinwand.

Später, in den 1970er und 80er Jahren, wird Richter mit Pinsel, Spachtel und selbst gebautem Rakel regelrecht­e Farbschlac­hten veranstalt­en, geheimnisv­olle Farbschlan­gen und bizarre Farbschlie­ren vermengen.

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