„Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheiden“
Armin Laschet NRW-Ministerpräsident Tunesien gefoltert werden. Das hat die tunesische Regierung bestritten.
Hintergrund der gegenseitigen Vorwürfe ist die Zuständigkeitskonstruktion. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ist für das Asylverfahren einschließlich Abschiebeverbote zuständig, das Land NRW für den Vollzug. Aus Sicht von NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) waren die beiden Ausweisungs- und Abschiebeentscheidungen der Bochumer Ausländerbehörde verwaltungsgerichtlich bestätigt. Somit habe es vergangenen Freitag die Verpflichtung gegeben, A. abzuschieben.
„Wir als Politiker haben nach Recht und Gesetz zu entscheiden, das hat die Landesregierung ge- macht“, verteidigte auch Ministerpräsident Armin Laschet am Montag das Vorgehen. „Im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist.“Jenen Vorgang, den Stamp auf den 11. Juli datiert, lässt der Präsi- dent des Gelsenkirchener Verwaltungsgerichts, Bernhard Fessler, in einer viel beachteten Ablaufschilderung der Vorgänge weg. Er verweist darauf, dass er wiederholt mit dem Bamf telefoniert habe, um sich versichern zu lassen, dass eine Abschie- bung nicht bevorstehe. Deshalb habe das Gericht keine Notwendigkeit gesehen, die Abschiebung im Eilverfahren am Donnerstagabend zu stoppen. Als die Entscheidung am Freitagmorgen per Fax auf den Weg ging, befand sich A. bereits auf demWeg nach Tunesien. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums unterstrich, dass die Abschiebung längst nicht mehr in der Hand des Bamf gelegen habe. Im Idealfall kommunizierten die Behörden von Bund und Land miteinander, sie seien dazu aber nicht verpflichtet.
Stamp wies den Vorwurf von Behördenversagen oder Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien zurück: „NRW hat immer klargestellt, dass die Rückführung von Gefährdern höchste Priorität hat und wir alle rechtlichen Möglichkeiten dazu ausschöpfen werden, auch die prozessualen“, sagte Stamp am Montagnachmittag. Beim Start des Flugzeuges mit A. habe es keine Entscheidung des Verwaltungsgerichts gegeben, die gegen die Abschiebung gesprochen hätte. Vielmehr hätte A. seit dem 25. Juni abgeschoben werden können. Etwaige Informations-Zusicherungen des Bamf gegenüber dem Verwaltungsgericht seien ihm nicht bekannt.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, Sami A. nun aus Tunesien zurückzuholen, wird auf Betreiben des NRW-Flüchtlingsministeriums vor der nächsthöheren Instanz angefochten. Das Bundesinnenministerium hat in der Zwischenzeit die deutsche Botschaft in Tunis gebeten, Kontakt mit den dortigen Behörden aufzunehmen,„um amtliche Informationen zum derzeitigen und weiterenVorgehen in dem Fall zu erlangen“, erläuterte die Sprecherin. Sie versicherte, dass die Chefetage des Ministeriums zwar bereits am Mittwoch über die möglicherweise am Freitag erfolgende Abschiebung informiert worden sei, diese aber keinen Druck auf dasVerfahren ausgeübt habe. Seehofer habe stets klargemacht, dass ihm eine zeitnahe Rückführung wichtig sei.
Nach Auffassung des Staatsrecht- lers Christoph Degenhardt gibt es jetzt keine Möglichkeit, Sami A. wieder zurückzuholen.„Wir sind auf die Kooperationsbereitschaft in Tunesien angewiesen“, sagte der emeritierte Jura-Professor unserer Redaktion. Er betonte zudem, dass die Behörden die Gerichtsentscheidung vor der Abschiebung in jedem Fall hätten abwarten müssen. Es bleibe jedoch die Frage, ob das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht den Behörden gegenüber ausreichend deutlich gemacht habe, dass es noch ein schwebendes Verfahren gebe.
Laut Degenhardt hätte die jetzige Situation vermieden werden können.„Man hätte die Lage früher klären und damit auch Sami A. früher abschieben können“, unterstrich der Staatsrechtler. Das Vertrauen in den Rechtsstaat schwinde, wenn es in vielen Fällen nicht gelinge, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, vor allem, wenn es sich um Gefährder handele.