„Das führte bei vielen zu einem Bruch bei der Identifikation mit Deutschland“
Alle zwei Jahre stellt Nordrhein-Westfalens Integrationsminister eine Studie vor, die nicht immer auf besonderes Interesse stößt. Dieses Mal ist das anders. Der Andrang ist so groß, dass die Stühle kaum reichen. Die Frage, wie gut Zuwanderer mit türkischen Wurzeln in Deutschland und insbesondere in NRW integriert sind, ist mit dem Fall Mesut Özil so brisant wie selten.
Die Forscher des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen (ZfTI) wollten wissen, inwieweit sich die türkeistämmigen Zuwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation in Deutschland zu Hause fühlen. Ob sie sich diskriminiert sehen und ob die politischen Entwicklungen die Zugehörigkeit zu Deutschland und zur Türkei beeinflussten.
Die Untersuchung deckt einen langen Zeitraum ab und ist damit wohl europaweit einzigartig: Seit 1999 befragt das ZfTI in Kooperation mit dem NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) rund 1000 türkischstämmige Menschen ab 18 Jahren per Telefon. 2017 wurde die Untersuchung erstmals auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet. Und es zeigte sich: Die Resultate weichen kaum voneinander ab.
Das zentrale Ergebnis der Umfrage: Die meisten Befragten fühlen sich sowohl Deutschland als auch der Türkei verbunden. Und fast jeder Fünfte empfindet allein Deutschland als seine Heimat. Allerdings nimmt seit einigen Jahren der Anteil derjenigen zu, die sich nur der Türkei heimatlich verbunden fühlen. Denn obwohl mehr als jeder Zweite sagt, er fühle sich in Deutschland zu Hause, sagen auch 50 Prozent, dass sie sich nur mit der Türkei heimatlich verbunden fühlen. Das ist ein deutlicher Zuwachs seit 2010, als dies nur 30 Pro- zent von sich sagten. Die Ursache für die Trendwende seit 2010 sieht NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) in politischen Entwicklungen in der Türkei und in Deutschland. 2008 habe der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen ersten starken Auftritt gehabt. Vor zwei Jahren dann fand der Putschversuch in der Türkei statt.
Hierzulande habe das Buch„Deutschland schafft sich ab“von Thilo Sarrazin mit despektierlichen Äußerungen zu„kleinen Kopftuchmädchen“viel Unmut in der türkischen Community ausgelöst, so Stamp. 2011 seien im Zuge der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufgrund von Vorurteilen ausgerechnet die Angehörigen der Opfer unter Verdacht geraten, Stichwort: „Döner-Morde“. Stamp: „Das führte bei vielen zu einem Bruch bei der Identifikation mit Deutschland“. Gleichzeitig erleben türkische Jugendliche der dritten Generation in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt Diskriminierungen, obwohl viele nicht einmal mehr Türkisch sprechen.
Wie verbreitet dies ist, zeigt eine aktuelle Studie der Universität Mannheim. DieWissenschaftler wiesen nach, dass Schüler mit ausländischem Namen schlechtere Diktat-Noten erhalten, auch wenn die Zahl der Fehler im Vergleich zu deutschen Schülern genau gleich ist. An der Studie hatten 204 Studenten einer Pädagogischen Hochschule im Alter von durchschnittlich 23 Jahren teilgenommen. Während die eine Gruppe ein Diktat von „Max“benotete, erhielt die andere Gruppe ein identisches Diktat, allerdings von „Murat“. Die Zahl der gefundenen Fehler war dabei gleich, unabhängig davon, ob das Kind vermeintlich deutsch oder türkisch war. Dennoch leiteten die Beurteiler aus der gleichen Zahl von Fehlern unterschiedliche Noten ab – zum Nachteil für die vermeintlich türkischen Schüler. Joachim Stamp (FDP) zu den NSU-Morden NRW-Integrationsminister