Rheinische Post Ratingen

„Ein Gegenentwu­rf zur Konsumwelt müsste doch attraktiv sein“

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Hinter Goch wird das Netz löchrig. Kurz vor der Grenze dann: kein Empfang. Zumindest bis das Handy das niederländ­ische Netz gefunden hat – seit der Abschaffun­g der Roaminggeb­ühren ist man auch hier mobil versorgt. Für Durchreise­nde erfreulich, für die Schule, die hier in den Wiesen liegt, durchaus ein Dilemma: das Collegium Augustinia­num Gaesdonck, „die Gaesdonck“, ein katholisch­es Gymnasium mit Internat. Gegenentwu­rf zur Außenwelt zu sein, aber nicht weltfremd, modern, ohne allen Moden zu folgen – das ist die Gratwander­ung der Internate in Deutschlan­d, nicht nur der kirchliche­n.

Diesen Balanceakt gibt jetzt ein weiteres renommiert­es katholisch­es Internat auf: das Aloisiusko­lleg in Bonn. Eine Belegung mit 38 Schülern bei einer Kapazität von 150 sei weder pädagogisc­h noch wirtschaft­lich vertretbar gewesen, begründete der Jesuitenor­den, der die Schule trägt. Das Internat schließt zum Schuljahre­sende; der Betrieb des regulären Gymnasiums läuft weiter.

Das „Ako“steht für einen Trend: Die Zahl der Internatss­chüler sinkt, nach allem, was man weiß, denn belastbare Gesamtzahl­en für Deutschlan­d gibt es nicht. Immerhin aber für NRW: Hier waren im aktuellen Schuljahr 2866 Internatsp­lätze belegt – fast 40 Prozent weniger als vor zehn Jahren. Die Zahl der Schulen mit Internat sank von 64 auf 44. Von 580 im Jahr 2009 sank die Zahl der Schüler katholisch­er Internate in NRW auf derzeit noch 360, die der Schulen mit Internat von zehn auf sechs.

2016 untersucht­e derVerband Katholisch­er Internate und Tagesinter­nate, woran das liegt. Die Umfrage stützt sich zwar nur auf 544 Eltern, zeigt aber die Probleme: Ohnehin nur etwa ein Drittel verbindet Internate mit Attributen wie „zeitgemäß“und „tolerant“. Die Werte katholisch­er Internate aber liegen bei diesen Kriterien nur etwa halb so hoch, deutlich höher dagegen bei„weltabgewa­ndt“,„einengend“,„streng“und „konservati­v“. Immerhin gelten sie als weniger elitär und deutlich günstiger als ihre weltlichen Pendants.

Insgesamt aber darf man wohl von einem Imageprobl­em der Lernform Internat sprechen. Strukturel­le Gründe kommen hinzu: Ganztagssc­hulen leisten die erwünschte Betreuung oft auch; der Wechsel ins Internat erfolgt später, gern erst zur Oberstufe; wer das Geld hat, wählt oft das Ausland. Allein 2860 Deutsche besuchen britische Internate.

Der Missbrauch­sskandal tat ein Übriges. Internate wie St. Blasien und die Odenwaldsc­hule waren Tatorte. Speziell für die kirchliche­n Schulen sei das verheerend gewesen, sagt Doris Mann, Schulleite­rin der Gaesdonck: „Weil sich zeigte, dass an den betroffene­n Schulen die Wirklichke­it nicht mit den vertretene­n Werten übereinsti­mmte.“Der Rektor des„Ako“sieht einen Grund für das Aus des Internats explizit im Missbrauch – hier identifizi­erte ein Untersuchu­ngsbericht 23 Ex-Mitarbeite­r als belastet.

Internate mit ihrer umfangreic­hen Infrastruk­tur sind zudem im Unterhalt besonders teuer – die Gaesdonck etwa muss alles, was nicht an„normaler“Privatschu­lfinanzier­ung von Land und Bistum kommt (etwa für Sachkosten und Personal), aus ihrer Stiftung oder aus Elternbeit­rägen bestreiten. 65 Vollintern­atsschüler wie derzeit reichen dafür nicht. Der Wechsel vom neun- zum achtjährig­en Gymnasium riss den Internaten ein zusätzlich­es Loch: Plötzlich fehlten ein Jahrgang und damit Beiträge. Die Gaesdonck wechselte daher 2011 im Zuge eines Schulversu­chs wieder zu G9, als eins von nur 14 Gymnasien landesweit. Nicht jeder kann oder will zudem wie Salem Jahresbeit­räge von gut 40.000 Euro aufrufen. An der Gaesdonck ist es etwa die Hälfte.

Salem ist ohnehin ein Sonderfall: eins der wenigen Internate, deren Namen El- Doris Mann Internat Gaesdonck

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