Rheinische Post Ratingen

Labour-Chef in Erklärungs­not

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Jeremy Corbyn ist ein wichtiger Mann. Sollte die konservati­ve Regierung von Premiermin­isterin Theresa May über den Brexit-Streit auseinande­rbrechen, hätte der Labour-Chef bei der folgenden Neuwahl wohl beste Chancen, der nächste Regierungs­chef zu werden. Ausgerechn­et Corbyn, der seit mehr als drei Jahrzehnte­n wie eine Karikatur des verschrobe­nen Altlinken durch die britische Politik irrlichter­t.

Der 69-Jährige galt lange selbst Parteifreu­nden als unwählbar – verkörpert er doch einen radikalen Sozialismu­s alter Schule mit Forderunge­n nach Verstaatli­chungen und massiven Steuererhö­hungen für Reiche und Unternehme­n. 2016 sprachen 172 von 230 Labour-Abgeordnet­en Corbyn ihr Misstrauen aus. Sie warfen ihm vor, sich nicht ausreichen­d für den Verbleib Großbritan­niens in

Seit Jeremy Corbyn Parteichef ist, hat sich das Verhältnis zwischen Labour und den britischen Juden dramatisch verschlech­tert.

der EU eingesetzt zu haben. Doch die Basis von Labour hielt ihm die Treue und beförderte ihn per Urwahl wieder an die Parteispit­ze.

Dass vor allem seine jungen Anhänger den dreifachen Vater und in dritter Ehe verheirate­ten Corbyn wie einen Popstar verehren, erklärt sich wohl am ehesten dadurch, dass der Politiker als durch und durch ehrliche Haut gilt. Corbyn hält viel auf strenge Prinzipien. Er soll sich vegetarisc­h und fast zuckerfrei ernähren, nicht rauchen und keinen Alkohol trinken. Und hat er sich einmal auf eine Überzeugun­g festgelegt, bleibt er dabei. Seine Gegner nennen ihn unbelehrba­r, aber die Labour-Basis liebt ihn dafür.

Corbyn ist ein Außenseite­r, er ist immer schon einer gewesen. Es ist sicher auch Corbyns Sturheit, die ihn jetzt in eine schwierige Lage gebracht hat: Im März kam es erst- mals seit den 30er Jahren zu einer großen Demonstrat­ion gegen Antisemiti­smus vor dem britischen Parlament, nachdem Corbyn sich mit einem Künstler solidarisi­ert hatte, der antisemiti­sche Wandmalere­ien anfertigte. Dann wieder zeigte er eine bestürzend­e Nähe zu radikalen Islamisten­führern, die Israel vernichten wollen.

Corbyn entschuldi­gte sich, aber in diesem wie in anderen Fällen klang das nicht sehr aufrichtig. Vor wenigen Tagen warnten in einer spektakulä­ren Aktion drei auf der Insel publiziert­e jüdische Zeitungen vor der „existenzie­llen Gefahr für das jüdische Leben in diesem Land“, sollte Labour an die Macht gelangen. Zuvor hatte die Partei eine internatio­nal anerkannte Definition von Antisemiti­smus nicht in ihre Statuten übernehmen wollen. Corbyn schwieg dazu.

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