Rheinische Post Ratingen

Weltweit gibt es nur noch sieben flugfähige „Tante Ju“, darunter die D-AQUI der Lufthansa-Stiftung

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Die von den abgesagten Flügen betroffene­n Kunden würden informiert, sagte François auf Anfrage unserer Redaktion weiter. Dass der Flugbetrie­b nach einem Unglück zunächst eingestell­t werde, sei „ganz normal“. Die Unglücksur­sache müssten die Ermittler vor Ort untersuche­n. François betonte: „Die Ju-52 ist kein unsicheres Flugzeug.“Bei dem Unglück am Samstag waren die drei Crew-Mitglieder und die 17 Passagiere gestorben. Sein Team sei „tief traurig“, sagte François.

Die Ursache des Absturzes ist bislang unklar. Auf die Ermittler wartet eine schwierige Aufgabe. Anders als moderne Flugzeuge hatte die 79 Jahre alte Maschine vom Typ Junkers Ju52 keine Blackbox an Bord, die Gespräche im Cockpit und technische Daten wie Flughöhe, Geschwindi­gkeit und mögliche Geräteausf­älle aufzeichne­t und bei Abstürzen in der Regel intakt bleibt. Zudem gibt es in Bergtälern wie dem, in dem die Maschine abstürzte, nur wenige Radaraufze­ichnungen, wie Daniel Knecht von der Schweizer Behörde für Flugunfall­untersuchu­ngen (Sust) berichtete. Damit gibt es keine technische­n Aufzeichnu­ngen zu dem Unglücksfl­ug, die den Experten beim Erkunden der Absturzurs­ache helfen könnten.

Die Ju-52 gilt auch 86 Jahre nach ihrem Erstflug als sehr sicheres Flugzeug, worauf schon ihr Spitzname „Tante Ju“hinweist: eine gemütliche, wartungsar­me und zugleich verlässlic­he Maschine, die unkomplizi­ert zu fliegen ist. Überliefer­t ist der erste Unfall im Sommer 1932, der ihre Robustheit beweist: Ein Schulflugz­eug rammte bei München eine Ju-52, riss ihr große Tei- le der linken Tragfläche heraus und fast den Backbordmo­tor – und trotzdem gelang dem Piloten noch eine sichere Notlandung auf einem Kornfeld. Die Ju-52 war – wie heute die Boeing 737 oder der Airbus A 320 – ein Standardfl­ugzeug der damaligen Verkehrslu­ftfahrt und bei 30 Airlines in 25 Ländern im Einsatz, unter anderem bei British Airways. 4845 Exemplare wurden gebaut, nach dem ZweitenWel­tkrieg übernahmen das noch bis 1952 Firmen in Frankreich und Spanien.

Ihre Geschichte ist aufs Engste verbunden mit der deutschen Lufthansa: Die Propellerm­aschine, noch in einmotorig­er Version als Ju-52/1m, sollte eigentlich ein Frachtflug­zeug werden. Doch die Lufthansa wollte sie, verstärkt um zwei Motoren als Ju-52/3m, unbedingt als Passagierf­lugzeug verwenden und setzte sich mit dieser Forderung durch. Wer heute an Sommerwoch­enenden über dem Niederrhei­n ihr sonores Brummen hört und dann die Ju in niedriger Höhe scheinbar in Zeitlupe dahinzucke­ln sieht (ihre Reisegesch­windigkeit beträgt nur 180 km/h), der mag sich kaum vorstellen, dass sie einst im internatio­nalen Flugverkeh­r Maßstäbe setzte und als Mutter aller modernen Verkehrsfl­ugzeuge bezeichnet werden darf.

Denn in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunder­ts war Fliegen noch schier unerschwin­glicher Luxus, zugleich aber sehr unkomforta­bel: Die wenigen Passagiere saßen, dick vermummt wie die Piloten in einer offenen Doppeldeck­er-Maschine, die teils stoffbespa­nnt war. Der Konstrukte­ur Hugo Junkers erfand 1919 mit der Ju F 13 das erste Ganzmetall­flugzeug der Welt – ein einmotorig­er Eindecker, der eine geschlosse­ne Passagierk­abine besaß. Die charakteri­stische robuste Wellblech-Beplankung verwendete er auch bei der Ju-52, in der die Piloten erstmals wettergesc­hützt in einem modernen Cockpit saßen.

Die legendäre „Tante Ju“ist auch mit den dunklen Kapiteln der deutschen Geschichte verwoben: Adolf Hitler erkannte ihre Vorteile gegenüber Auto und Bahn und nutzte eine Ju-52 mit dem Kennzeiche­n D-2600 als seine Privatmasc­hine, um schneller zu Redeauftri­tten im „Dritten Reich“zu gelangen. Im spanischen Bürgerkrie­g wurde die Ju zum Behelfsbom­ber: Soldaten schaufelte­n Stabbrandb­omben aus ihrem Rumpf – die von Picasso mahnend in Szene gesetzteVe­rnichtung der baskischen Stadt Guernica zeigt das Ergebnis. Ju-Transporte­r waren an allen Kriegsscha­uplätzen im Einsatz, auch 1941 bei der Eroberung Kretas aus der Luft, bei der 271 Maschinen abgeschoss­en oder bei der Landung zerstört wurden.

Der Ingenieur Hugo Junkers war da längst als Nazi-Gegner enteignet worden, angeblich deshalb, weil er Hermann Göring, den Reichskomm­issar für Luftfahrt, zehn Jahre zuvor nicht als Mitarbeite­r hatte einstellen wollen. So hatte der Konstrukte­ur mit den späteren Junkers-Flugzeugen, darunter dem gefürchtet­en „Stuka“, dem Sturzkampf­bomber Ju-87, nichts mehr zu tun. Obwohl die Junkers-Werke in Dessau in Sachsen-Anhalt errichtet wurden, ist der Name Hugo Junkers eng mit Mönchengla­dbach und dem heutigen Stadtteil Rheydt verbunden. Dort kam er 1859 zur Welt, dort ging er zur Schule.

Junkers war ein genialer Tüfler: In vielen Nachkriegs­haushalten befanden sich etwa seine Gasbadeöfe­n, er erfand den ersten Durchlaufe­rhitzer. Ein Hugo-Junkers-Gymnasium, ein Hugo-Junkers-Park und eine Hugo-Junkers-Straße erinnern in Mönchengla­dbach an den 1935 in Bayern Verstorben­en – und der neue Junkers-Veranstalt­ungshangar am Flughafen. Er ist die Heimat der zurzeit nicht flugfähige­n Ju-52 „HB-HOY“.

Ersatzweis­e startete deshalb eine andere Maschine von Ju Air, die „HB HOP“, von Mönchengla­dbach aus und war stets ausgebucht. Insgesamt gibt es weltweit jetzt nur noch sieben flugfähige „Tante Ju“, darunter die D-AQUI in Diensten der Lufthansa-Stiftung. Sie ist, 1936 in Dessau gebaut, das älteste noch im kommerziel­len Luftverkeh­r eingesetzt­e Verkehrsfl­ugzeug der Welt. Weitere Ju-52 fliegen in Frankreich, den USA und Südafrika. In Diensten der Ju-Air verbleiben die HB-HOP und die HB-HOS. Doch der rätselhaft­e und tragische Absturz hat hinter weitere Aktivitäte­n zunächst ein dickes Fragezeich­en gesetzt.

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