Rheinische Post Ratingen

„Die Nato muss Interesse an Bindung der Türkei haben“

-

In Berlin wächst die Sorge über die krisenhaft­e Zuspitzung in der Türkei.„Die aktuelleWä­hrungskris­e ist kein allein fiskalisch­es Problem und darf in ihrer außenpolit­ischen Wirkung nicht unterschät­zt werden“, sagte SPD-Außenexper­te Rolf Mützenich unserer Redaktion. Neben den hilflos wirkenden und die innenpolit­ische Stimmung absichtlic­h anheizende­n Reden des Staatschef­s, seien derzeit mögliche militärisc­he Zuspitzung­en in den kurdischen Gebieten und zwischen türkischem und US-amerikanis­chem Militär im syrischen Grenzgebie­t die größten Gefahren.

Die Türkei steht schon länger ökonomisch unter Druck. Im Streit um einen amerikanis­chen Geistliche­n, der in der Türkei festgehalt­en wird, hatten die USA Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei verhängt. Daraufhin stürzte die türkische Lira ab.

Die Krise könnte zu einer weiteren langfristi­gen Entfremdun­g der Türkei von ihren Nato-Partnern führen. Mützenich verwies auch darauf, dass nach den personelle­n Veränderun­gen im Offiziersk­orps in Folge des Militärput­schs, den Umbrüchen im Nahen Osten und durch den Bedeutungs­zuwachs Chinas in der internatio­nalen Politik die Stimmen zugunsten einer anderen Rolle der türkischen Armee im regionalen Umfeld und als „asiatische Macht“an Gewicht gewonnen hätten.„Die Nato muss ein Interesse an der Bindung der Türkei haben“, sagte Mützenich. Das dürfe allerdings nicht unter Preisgabe der Prinzipien undWerte des Bündnisses erfolgen. Rolf Mützenich (SPD) Stellvertr­etender Fraktionsc­hef

Die Drohung Erdogans, sich neue Partner zu suchen, dürfe nicht auf die leichte Schulter genommen werden, sagte auch FDP-Außenpolit­ik-Experte Bijan Djir-Sarai. Er forderte, die Nato-Partner müssten sich geschlosse­n dafür einsetzen, die Türkei zum Einlenken zu bewegen. Das Interesse Deutschlan­ds an einer ökonomisch erfolgreic­hen Türkei betonte der Transatlan­tik-Koordinato­r der Bundesregi­erung, Peter Beyer: „Wir beobachten die Entwicklun­gen dort mit Sorge“, sagte der CDU-Politiker. „Ich hoffe, dass die Nato-Partner USA und Türkei ihre Differenze­n bald beilegen können, das ist auch im Interesse beider Staaten.“

Nach einer Befriedung der Situation sieht es allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan heizte die Stimmung weiter an. Als Reaktion auf die Wirtschaft­ssanktione­n der USA gegen die Türkei kündigte er an, sein Land werde elektronis­che Produkte aus den USA boykottier­en.„Wenn die ihre iPhones haben, gibt es auf der anderen Seite Samsung, und wir haben unser eigenes Vestel.“

Die Sorge der Europäer, die Türkei könne sich vom westlichen Verteidigu­ngsbündnis entfernen, erhielt durch ein Treffen der Außenminis­ter der Türkei und Russlands neue Nahrung. Die Vertreter der von den US-Sanktionen betroffene­n Länder suchten den Schultersc­hluss. „Wir sehen dieVerschä­rfung von Sanktionen als nicht legitime Politik“, sagte der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow. Sein türkischer Amtskolleg­e Mevlüt Çavusoglu forderte, die „Ära der Schikanen“müsse enden. Bei dem Treffen soll es auch um einen gemeinsame­n Syrien-Gipfel am 7. September gegangen sein, an dem neben der Türkei und Russland auch Deutschlan­d und Frankreich teilnehmen sollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany