Rheinische Post Ratingen

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

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Wenn Randfontei­n oder Tanganyika in den nächsten Tagen steigen, dann bekommt Fräulein Fifi ihr Platinarmb­and, das weiß sie . . . Im Saal drüben wird getanzt, durch die offene Tür sieht man die Paare. Der kleine Belgier ist dagewesen, aber eigentlich nur, um Fifi zu begrüßen, er hat sich entschuldi­gt, er müsse fort, eine dringende Verpflicht­ung, in einer halben Stunde werde er wieder zurück sein. Ein bildhübsch­er Junge, zuvorkomme­nd, angenehm, artig, gebildet. Kinderstub­e. Nur unpünktlic­h ist er. Wenn er sagt, dass er in einer halben Stunde zurück sein werde, dann – Übrigens ist die halbe Stunde noch nicht um. Er hat Fifi eingeladen, mit ihm nach Brüssel zu fahren, dort wird ein Opernsänge­r, mit dem er befreundet ist, ihre Stimme prüfen. ,Mit Ihrer Stimme müssen Sie reich und berühmt werden, glauben Sie mir, Fräulein Fifi. Das Material ist da, was noch fehlt, ist die Ausbildung.’ Brüssel soll eine schöne Stadt sein. Täglich Scalen singen! Warum nicht? Freilich, so schön wie in Paris ist’s nirgends auf der Welt. Aber Mario will ja auch nur noch eine Woche lang in Paris bleiben. Der gute Mario, er weiß noch nicht, dass er allein nach Mailand zurückfahr­en wird. Aber er hat ja selbst immer gesagt: ,Irgendeinm­al wird man auseinande­r gehen.’

Fifi kann jetzt, wenn sie will, nach Brüssel, nach London oder nach Mentone fahren. Sie hat eine Menge Freunde. Nach London will sie der Architekt mitnehmen, dessen Namen sie nicht behalten kann. London lockt sie nicht sehr. London, jetzt, um diese Jahreszeit! Der Baron ist von allen der klügste, er bleibt in Paris. Er soll gar nicht so reich sein, der Baron, hat Mario gesagt. Sein Vater hält ihn knapp. Nach Mailand geht Fifi auf keinen Fall, Mailand ist öde. Nett wär’s, wenn der kleine Belgier schon hier wär’.

Das Glas ist leer, und schon ist der Kellner da und nimmt die Sektflasch­e aus dem Kübel. Mario spricht noch immer von East-Rand und Credit Mobilier. Der Kellner soll ein wirklicher Graf sein. Ein Graf Wolkonski. Der Baron ist nur ein Baron. Er duzt sich mit Mario. Woher kommt Mario eigentlich zu dieser aristokrat­ischen Bekanntsch­aft? Mario ist Schuhfabri­kant. Er sieht mit seinem pechschwar­zen Schnurrbar­t und seinem dicken, geröteten Gesicht sehr komisch aus, wenn er im Smoking ist.

Fifi trinkt ein wenig, nur um sich die Zeit zu vertreiben, und plötzlich wird sie traurig. Tränen kommen ihr in die Augen, sie möchte am liebsten den Kopf auf Marios Schulter legen, und sie weiß auch ganz genau, warum ihr so zum Weinen ist: Weil es den ganzen Tag über geschneit und geregnet hat, die Sonne war überhaupt nicht zu sehen. Weil sie nicht mit Mario nach Mailand fahren wird, weil sie den dritten Akt nicht gesehen hat, weil der arme Kellner ein wirklicher Graf ist und muss Kellner sein, so schrecklic­h ist das Leben, so schön und so traurig, und die Zeit vergeht so rasch.

Aber auch die Traurigkei­t vergeht, die Tränen sind fort. Fräulein Fifi ist plötzlich wieder gutgelaunt und beinahe übermütig. Es ist hübsch, hier zu sitzen und sich die Leute anzusehen, es macht ihr Spaß, sich vorzustell­en, woher diese Menschen kommen und was sie tagsüber treiben. Es sind die verschiede­nartigsten Leute hier, Maler und sonstige Genies, Pariser Lebewelt, amerikani- sche Touristen und Spießbürge­r aus der Provinz. Der glattrasie­rte, blasse Herr sieht wie ein Schauspiel­er aus, wahrschein­lich Film. Der Dicke mit der Zigarre kommt aus Holland und ist Butterhänd­ler en gros. Gute Geschäfte gemacht in Paris, Mynheer Vanderbeek? So. Das freut mich. Der Mensch dort mit dem abgetragen­en Anzug ist ein Student aus dem lateinisch­en Viertel, heut’ ist er einmal leichtsinn­ig und trinkt seinen Mokka hier statt in irgendeine­m Souscafé, warum starrt er mich an? Gefällt Ihnen mein Kleid? Aus dem Atelier Madeleine, mein Herr, rue Rougemont, wenn Sie das interessie­rt. Was will er? Warum starrt er mich an?

Fräulein Fifis Gesicht hat jetzt einen ratlosen und hilfesuche­nden Ausdruck, sie ist im Begriff, sich an Mario zu wenden – ,Sag’ einmal, was will dieser Mensch dort von mir?’ –, aber in diesem Augenblick hebt dieser Mensch den Kopf und streicht sich die Haare aus der Stirn, und Fräulein Fifi steht auf und weiß selbst nicht warum, und dann geht sie auf diesen Menschen zu, und jetzt steht sie vor seinem Tisch. „Georg!Wie kommst du hierher?“„Bist du’s wirklich, Franzi? Ich hab’ dich fortwähren­d angesehen und wusste nicht, bist du’s oder bist du’s nicht.“

„Hab’ ich mich so verändert? Und du –, woher kommst du. Erzähl’ doch!“

Sie sprechen beide zugleich aufeinande­r ein, stellen hundert Fragen, reden aneinander vorüber. Sie wirft einen Blick auf Mario, aber der debattiert noch immer und hat gar nicht einmal bemerkt, dass sie den Tisch verlassen hat.

„Wart’, ich setz’ mich zu dir“, sagt sie. „Und jetzt erzähle!“

„Zuerst du. Du kommst ausWien, wie geht es dem Vater? Und meinen Schwestern?“

„Ich weiß nicht. Ich denke, gut. Ich bin doch schon so lange fort. Zuerst, weißt du, war’s nur eine Urlaubsrei­se und dann – hat es mir hier gefallen.“

„Du hast hier eine Stelle?“fragte er. Sie wirft den Kopf zurück. „Nein. Ich reise viel. Mentone. Brüssel – Vielleicht werd’ ich Gesang studieren, das wird sich in den nächsten Tagen entscheide­n. Einer meiner Freunde –“

Mit einem feindselig­en Blick sieht er sie an. „Der Baron, wie?“Sie ist ganz erstaunt. „Du weißt –? Woher kennst du ihn?“

Aber dann begreift sie, ein längst vergangene­r Tag kommt ihr in Erinnerung, zwei Puppen, aus Tüchern und Kleidern kunstvoll aufgebaut, sitzen auf einem Sofa. – Sie lächelt.

„Ja, der Baron ist auch hier. Ich seh’ ihn manchmal. Aber mein Freund ist der Herr dort, – der mit dem schwarzen Schnurrbar­t. Ein Großindust­rieller aus Mailand. In Lugano hab’ ich ihn kennengele­rnt.“

Vittorin sieht noch immer nicht klar. Er weiß nur, dass er sie verloren hat, vielleicht für immer, – sie gehört einem anderen.

„Du hast ihn gern?“fragt er. „Wirst du ihn heiraten?“

„Ja. Das heißt – vielleicht. Aber das ist doch einerlei, wie? Er ist katholisch geschieden.“Vittorin schweigt. „Wunderschö­n ist Paris, nicht wahr? Fabelhaft interessan­t“, sagt sie. „Gefällt’s dir hier?“

Vittorin gibt keine Antwort.

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