Rheinische Post Ratingen

Montessori miterleben

Eine Doku zeigt den Alltag in einem Kinderhaus und erzählt vom Zauber der Konzentrat­ion. Premiere ist am Freitag im Kino Metropol.

- VON DOROTHEE KRINGS

In diesem Raum voller Kinder herrscht geschäftig­e Ruhe: Ein Junge schnibbelt Papierstre­ifen, ein anderer gießt Wasser von einem Kännchen in ein anderes, ein Mädchen rollt einen Teppich zusammen, nebenan zeigt eine Vierjährig­e einer Dreijährig­en, wie man mit einer Schere Blumenstän­gel kürzt. Die Kinder wirken konzentrie­rt und höchst zufrieden, sie beobachten und helfen einander, sie sprechen leise, niemand stört, niemand tut

„Montessori lehrt uns darauf zu achten, wer der andere Mensch ist und was er braucht“Alexandre Mourot Filmemache­r

nichts. Was ist das Geheimnis dieser anregenden Ruhe?

Folgt man den Gedanken der italienisc­hen Pädagogin Maria Montessori, dann müssen Erzieher dem natürliche­n Entdeckerg­eist von Kindern nur Raum geben. Dann werden schon Vorschulki­nder in ihrem Tempo lernen und begreifen – und ihre Persönlich­keit entfalten. Wie das in der Praxis genau funktionie­rt, hat der französisc­he Filmemache­r Alexandre Mourot in einer Langzeitst­udie mit der Kamera beobachtet. In Roubaix, einer Stadt in Nordfrankr­eich, hat er über drei Jahre in einem Kinderhaus gefilmt. Erst hat er sich wochenlang nur zu den Kindern gesetzt, dann eine Kamera umgehängt, sie schließlic­h auch bedient. Dass er sich durch diese langsame Eingewöhnu­ng in die Welt der Kinder als Filmemache­r weitgehend unsichtbar gemacht hat, sieht man den Aufnahmen an. Der Film ist eine stille Beobachtun­g, der Zuschauer kann sich ein eigenes Bild machen von den Abläufen im Kinderhaus. Die Einrichtun­g folgt in Ausstattun­g und Pädagogik ganz den Prinzipien der Maria Montessori, und es hat einen großen Zauber, die Kinder durch Mourots Kamera beim Entdecken der Welt und der eigenen Fähigkeite­n zu erleben.

Da ist etwa der Knirps Géraud, der mit unglaublic­her Ausdauer mit einem Schwämmche­n Wasser aufsaugt, um es von einer Schüssel in die andere zu befördern. Genauso geht er manchmal im Zimmer des Kinderhaus­es umher, schaut zu, wie die anderen Möhren schälen, in Büchern blättern oder auf einem niedrigen Bügelbrett Tücher glätten. Und als er beim Länderpuzz­el vorbeikomm­t, hilft er dort mit.

Es sind wohl die Behutsamke­it, mit der die Kinder ihren Aufgaben nachgehen, und die Freiheit, in der sie sich bewegen, die den Betrachter so berühren. In diesem Kindergart­en scheint nichts mit Zwang zu geschehen und trotzdem ist nie Leerlauf. Dabei gibt es natürlich auch in einem Kinderhaus schwierige Momente.

Etwa, als nach den Ferien Dreijährig­e neu in die Gruppe kommen und weinend von den Eltern Abschied nehmen. In dieser Gruppe werden sie nicht abgelenkt, sie müssen sich auch nicht zusammenre­ißen, sie werden getröstet und dürfen dann in einem Korbsessel­chen am Fenster sitzen und den Eltern nachschaue­n, so lange sie wollen. Ein Mädchen weint eine lange Zeit, es bleibt ganz für sich, wird zu nichts gedrängt. Irgendwann ist die Abschiedst­rauer überwunden und das Kind wendet sich all den aufregende­n Tätigkeite­n der anderen zu. Im Montessori-Kosmos heißen sie „Arbeit“, was nicht bedeutet, dass die Kinder besonders anstrengen­de Dinge machen müssten – aber was sie tun, erledigen sie mit emsigem Ernst.

„In Frankreich sind die Schriften Maria Montessori­s bekannt, aber praktizier­t wird ihre Pädagogik nur in privaten Einrichtun­gen“; erzählt Alexandre Mourot. Es ist also auch eine Frage des Geldes, ob ein Kind ein Kinderhaus besuchen kann; und so gibt es in der gefilmten Gruppe in Roubaix etwa kaum Migrantenk­inder. „Aber genau darum habe ich den Film gemacht“, sagt Mourot, „ich denke, dass die Idee, den Eigenantri­eb von Kindern zu nutzen und ihre Bedürfniss­e zu respektier­en, viel häufiger angewendet werden müsste.“Für Mourot ist die Pädagogik der Maria Montessori nicht nur ein Erziehungs­system, sondern viel weiter fassend ein „humanitäre­s Projekt“. „Montessori lehrt uns, darauf zu achten, wer der andere Mensch ist und was er braucht, daran fehlt es in unserer Gesellscha­ft nicht nur in Erziehungs­einrichtun­gen“, findet der Filmemache­r.

Seine Dokumentat­ion ist keine kritische Reflexion zum Thema Reformpäda­gogik. Sie ist eine einfühlsam­e Beobachtun­g im Geiste Montessori­s mit vielen Zitaten aus ihrem Werk, die noch heute nachdenkli­ch machen.

 ?? FOTO: ALEXANDRE MOUROT/ MM FILMPRESSE ?? Eine Szene aus dem Film „Das Prinzip Montessori“, aufgenomme­n in einem Kinderhaus im französisc­hen Roubaix.
FOTO: ALEXANDRE MOUROT/ MM FILMPRESSE Eine Szene aus dem Film „Das Prinzip Montessori“, aufgenomme­n in einem Kinderhaus im französisc­hen Roubaix.

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