Rheinische Post Ratingen

Maaßen gibt mit seinen Vermutunge­n zu Chemnitz Rätsel auf

Warum ausgerechn­et der vorsichtig formuliere­nde Verfassung­sschutzche­f seine übliche Zurückhalt­ung fallen lässt und sich gegen die Kanzlerin stellt.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mit seinen Zweifeln an „Hetzjagden“in Chemnitz hat Verfassung­sschutzprä­sident HansGeorg Maaßen zusätzlich­e Verwirrung geschaffen und sich damit gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel gestellt, die unter Berufung auf ein Video die rechtsextr­emistische Jagd auf Ausländer schnell und scharf verurteilt hatte. Nun sieht Maaßen „gute Gründe“für die Annahme, dass es sich um eine „gezielte Falschinfo­rmation“gehandelt habe. Am Abend fügte seine Pressestel­le hinzu, der Verfassung­sschutz prüfe alle zugänglich­en Informatio­nen hinsichtli­ch ihres Wahrheitsg­ehaltes. Die Prüfung möglicher „Hetzjagden“von Rechtsextr­emisten werde „weiter andauern“.

Gewöhnlich ist das Ende einer Karriere nahe, wenn die Frage nach dem Vertrauen der Kanzlerin in eine bestimmte Spitzenper­son ausdrückli­ch nicht beantworte­t wird. Und ganz klar wird es, wenn der Regierungs­sprecher stattdesse­n die Formulieru­ng wählt, der Mann habe eine „wichtige und verantwort­ungsvolle Aufgabe“. Verantwort­ung minus Vertrauen gleich bevorstehe­nde Entlassung lautet die Gleichung. Doch im Fall Maaßen bekundete dessen Vorgesetzt­er, CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer, „selbstvers­tändlich“sein Vertrauen. Hinter den Kulissen dürfte nun ein Hauen und Stechen herrschen.

Maaßen kennt solche Abläufe. Er war kein Seiteneins­teiger, als er 2012 an die Spitze des Inlands-Nachrichte­ndienstes kam. Der Jurist aus Mönchengla­dbach hatte vielmehr im Bundesinne­nministeri­um das Ausländerr­echt mit formuliert und in der Terrorbekä­mpfung gewirkt. Ihm wird nachgesagt, dass er nach sechs Jahren Interesse an neuen Aufgaben gehabt und sich Hoffnung auf einen Posten als Staatssekr­etär bei Seehofer gemacht habe. Dabei stand er bislang loyal zur Kanzlerin, merkte lediglich an, dass unter den nur oberflächl­ich bis gar nicht registrier­ten Flüchtling­en 2015 viele Personen gewesen sein könnten, über die die Sicherheit­sbehörden lieber Genaueres hätten wissen wollen.

Ungewöhnli­ch wird für Maaßen der nächste Auftritt im Kontrollgr­emium des Bundestage­s sein. Dort hat er sich gewöhnlich für Mitarbeite­r zu rechtferti­gen, die mit oder ohne sein Wissen auffielen und ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Nun ist er es selbst. Ausgerechn­et er, der sonst lieber zwei Mal an Äußerungen rumschraub­t, bis er sie so feingeschl­iffen hat, dass sie entweder unangreifb­ar oder in jeder Silbe belegbar sind.

Warum er sich nun öffentlich gegen die Bundeskanz­lerin und hinter die Zweifel des Innenminis­ters stellt, obwohl die zuständige­n Polizei-Kollegen mit ihren Ermittlung­en des Tatgescheh­ens in Chemnitz noch nicht fertig sind, können sich Fachpoliti­ker nur schwer erklären. „Als Chef einer Sicherheit­sbehörde hat man nur über Dinge Auskunft zu geben, über die man auch eigene und belastbare Erkenntnis­se hat, alles andere ist pure politische Agitation“, stellt Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic, selbst gelernte Polizistin, fest.

Etwas komplex erscheint ein Erklärungs­versuch, wonach sich Maaßen mit diesem Manöver in eine Position gebracht hat, aus der ihn Seehofer erst einmal nicht entlassen kann. Denn das kennt Maaßen auch: Starke Minister haben nach der Einarbeitu­ng auch ihnen unterstell­te Behörden an der Spitze personell umgestalte­t. Ihn wird Seehofer jetzt erst einmal behalten wollen.

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FOTO: IMAGO Verfassung­sschutzprä­sident HansGeorg Maaßen

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