Rheinische Post Ratingen

Mutter der Probleme, Vater der Konflikte

Die Spitze der Unionsfrak­tion spricht von Zukunft und Gemeinsamk­eit. Doch der von Seehofer neu entfachte Migrations­streit zeigt, dass CDU und CSU eine Dauerkrise droht, solange er und Merkel gleichzeit­ig an der Spitze sind.

- VON KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN „Zukunftskl­ausur“nennt CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt die Tagung des Unionsfrak­tionsvorst­ands. An zwei Tagen haben sie viel besprochen: Rente, Bildung, Verteidigu­ngsausgabe­n, Handel mit China, innere Sicherheit. Zum Abschluss ziehen Dobrindt und Fraktionsc­hef Volker Kauder (CDU) Bilanz. Die beiden Männer versichern, dass sie „größtes Interesse“an der gemeinsame­n Aufgabenlö­sung (Dobrindt) und „Freude an einer starken Fraktionsg­emeinschaf­t“(Kauder) hätten.

Dabei müssen sie selbst so schmunzeln, dass man glaubt, sie hätten gerade einen Witz gemacht. Zukunft, Freude, Gemeinsamk­eit? Die Wunden aus dem Sommer, als die Union am Streit zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und der CDU-Vorsitzend­en Angela Merkel um die Migrations­politik beinahe zerbrochen wäre, sind noch nicht annähernd verheilt, da hat der Innenminis­ter neue aufgerisse­n. Die Migration sei die „Mutter aller politische­n Probleme“hat er gesagt und damit wieder einmal auf die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin gezielt. Und die hat das – dünnhäutig­er als früher – zurückgewi­esen und auf Erfolge verwiesen.

Der Sprecher der neuen Plattform „Union der Mitte“, der CSU-Politiker Stephan Bloch, sagt unserer Redaktion: „Migration in undifferen­zierter Weise als Problem herabzuwür­digen, steht mit christsozi­aler Politik in keinem Konsens.“Es gebe Chancen, Gefahren, Risiken und Potenziale. „Der Geist, der den unsägliche­n Worten Seehofers aber innewohnt, dient nur den extremen Rändern.“

Laut Umfragen hat sich der Abwärtstre­nd für die CSU in Bayern seit dem Konflikt vom Sommer nur verstetigt. Die von Erfolg verwöhnte CSU liegt inzwischen bei deutlich unter 40 Prozent. Regierungs­chef Markus Söder tröstet sich mit dem Hinweis, die tatsächlic­hen Wahlergebn­isse hätten den Demoskopen 2017 wiederholt ein „Desaster“beschert. Sollte die CSU am 14.

Oktober ein Fiasko erleben, dürfte das massive Auswirkung­en auf die Bundespoli­tik haben.

So baut Seehofer zum einen für eine mögliche

Schuldzuwe­isung zwischen ihm und Söder vor, wonach „die

Strategie immer der

Spitzenkan­didat bestimmt“. Sprich: Wird die Wahl vergeigt, hat es nicht an ihm gelegen. Denn er will Parteichef bleiben. Zum anderen bereitet er das Feld, Verluste für die CSU Merkel anzukreide­n. Mit der Formulieru­ng mit der Migration als Mutter aller Probleme hat er natürlich nicht nur die Flüchtling­spolitik angesproch­en, sondern bei vielen die Assoziatio­n zu Merkel geweckt, die lange despektier­lich Mutti genannt wurde. Er hält sich zwar an die Vereinbaru­ngen von Anfang Juli, Rücknahme-Abkommen mit Spanien, Griechenla­nd und bald auch Italien abzuschlie­ßen. Zugleich markierte er aber bei einer CSU-Tagung in Neuhardenb­erg bei Berlin das absehbare Ergebnis: „Das ist ein Stück mehr Ordnung, aber es führt nicht zur Begrenzung der Zuwanderun­g.“

Er hätte also den Beleg, dass Merkels Kurs nicht ausreicht. Er hätte Recht behalten mit seiner Forderung, dass mehr kommen müsse. Zum Beispiel die von ihm ultimativ verlangte und von Merkel strikt untersagte Zurückweis­ung an der

deutsch-österreich­ischen Grenze. Dabei verschweig­t er gern, dass er persönlich und öffentlich Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zugesicher­t hat, dass eine Zurückweis­ung von Asylbewerb­ern in dessen Land nie beabsichti­gt gewesen sei. Sollte Seehofer nach der Landtagswa­hl als Parteichef gehen müssen, dürfte er alles daran setzen, Merkel mitzureiße­n. Die „Mutter aller Probleme“war da womöglich nur ein Vorgeplänk­el vom Vater neuer Konflikte, wenn man bei Seehofers Wortwahl bleiben möchte.

Stephan Bloch meint: „Wenn es uns als CSU in den fünf verbleiben­den Wochen bis zur Landtagswa­hl nicht gelingt, Luft in unser internes Parteivaku­um zu lassen, dann wird die Partei ihr Ziel der absoluten Mehrheit knallhart verfehlen. Da wird man auch der Kanzlerin keine Schuld mehr zuweisen können.“Sollte Seehofer Parteichef und Innenminis­ter bleiben und Merkel ihre Amtszeit zu Ende bringen, droht der Union eine Dauerkrise. Der Streit zeigt, dass die beiden inzwischen in zwei verschiede­nen Universen leben.

 ?? MONTAGE: RP ??
MONTAGE: RP

Newspapers in German

Newspapers from Germany