Angst vor Assads Rache
Wer kann, flieht vor der Offensive gegen die letzte Rebellenhochburg Idlib – und teilt das Schicksal vieler, die nicht mehr zurückkehren können.
AMMAN Sobald eine Kamera auftaucht, verschwinden die Frauen in einer Ecke des Zimmers. Nur die Kinder dürfen fotografiert werden. Sie selbst hätten Angst vor der Rache des Diktators, Angst, dass sie zurückkehren müssen, Angst, dass ihren Angehörigen, die noch in Syrien sind, etwas zustößt. Um Malik, so will sie sich nennen, ist 61 Jahre alt und seit fast sechs Jahren in der jordanischen Provinz Mafraq mit einem Teil ihrer Familie untergetaucht.
Mafraq ist flächenmäßig die zweitgrößte Provinz des Königreichs und liegt direkt an der Grenze zu Syrien. Wie keine andere Provinz in Jordanien, beherbergt Mafraq Tausende von syrischen Flüchtlingen, die nach Ausbruch der Unruhen im Frühjahr 2011 ins Nachbarland strömten. Um Malik, zu Deutsch „Mutter des Königs“, kam ein Jahr später. „Wir haben Baschar verehrt“, sagt sie mit Blick auf Machthaber Assad. Ihr Mann arbeitete im öffentlichen Dienst und kümmerte sich um die Wasserversorgung einiger Dörfer in der Provinz Daraa im Süden von Syrien, wo die Unruhen begannen. Die Söhne waren in der syrischen Armee.
Ende März 2011 sprühten junge Syrer Parolen an die Wände in der Stadt Daraa, mit denen sie den Sturz des Regimes forderten. Das Regime schlug mit voller Härte zurück. Um Maliks Söhne wollten kein syrisches Blut an ihren Händen und desertierten, ihr Mann arbeitete weiter.
Als Razzien und Verhaftungen zunahmen und die Luftangriffe sich häuften, gingen sie über die Grenze nach Jordanien. Die Söhne kamen mit, die Töchter blieben in Syrien. Zunächst kam die geteilte Familie im Lager Zaatari an, mit damals über 100.000 Menschen das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Von dort konnte man den Bombendonner Tag und Nacht hören, als Assads Armee mit russischer Luftunterstützung Anfang Juli Provinz und Stadt Daraa wieder unter die Kontrolle des Regimes brachten. Die Erde soll bis nach Jordanien hinein gebebt haben.
Was die Menschen im südlichen Daraa durchlebt haben, steht denen im nördlichen Idlib jetzt bevor. Russische und syrische Kampfflugzeuge bombardierten auch am Freitag Ziele im Raum Idlib. Dies wird als Auftakt der Offensive zur Rückeroberung der Nordprovinz gesehen. Eine friedliche Lösung erscheint ungewiss, zumal sich Russland, die Türkei und der Iran bei ihrem Gipfel in Teheran nicht auf ein gemeinsames Vorgehen zur bevorstehenden Offensive einigen konnten. In einer am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung war keine Rede von konkreten Maßnahmen. International wird eine humanitäre Katastrophe befürchtet, weil eine Offensive rund drei Millionen Zivilisten treffen würde.
„Wenn wir zurückgehen, gehen wir in den Tod“, sagt Um Malik. Es gebe kein Wasser, keinen Strom in Daraa, ihr Haus sei vor acht Wochen zerstört worden. „Erst jetzt“, sagt sie, „hat Baschar Daraa in Schutt und Asche gelegt“. Vorher sei die Zerstörung noch nicht so schlimm gewesen. Es seien sogar einige zurückgekehrt, weil es eine ganze Zeit ruhig gewesen sei. Ihr Mann sei nach eineinhalb Jahren in Jordanien zurückgegangen und seitdem nicht mehr gesehen worden. Um Malik hält seine Sterbeurkunde hoch, auf der Herzversagen als Ursache steht. Von Freunden und Nachbarn hat sie erfahren, dass ihr Mann sechs Monate im Gefängnis saß. Sie ist sich sicher, dass es mit ihrer Flucht zu tun hatte. Er sei gefoltert worden.
Auch andere Frauen im Wohnzimmer von Um Malik erzählen von Repressionen. Sie würden als Verräter und Abtrünnige beschimpft, wenn einer mal zurückginge und nach dem Haus schaue. Tue man das nicht, riskiere man, dass die Immobilie vom Regime konfisziert werde. Unerträglich aber sei die Demütigung bei der Rückkehr, erzählt eine Frau, die Israa heißt. Die Männer würden öffentlich beschimpft, ihre Frauen als Huren bezeichnet. Eine Kollektivbestrafung erwarten deshalb alle Flüchtlinge. Es sei noch keiner nach der Rückeroberung zurückgegangen, auch wenn die jordanische Regierung dazu aufrufe und auch die Russen. Diese hatten die Provinz Daraa vor dem Angriff zur Sicherheitszone erklärt. „Was das wert war, haben wir gesehen“, sagen die Frauen um Um Malik. Zwar habe Moskau ihnen sechs Monate Schutz für den Fall ihrer Rückkehr versprochen. Doch die Frauen trauen den Russen nicht. „Wir warten ab, was in sechs Monaten geschieht.“
Anders als die Menschen aus Daraa im Süden, wissen die aus Idlib im Norden nicht wohin, wenn die Bomben auf sie niederhageln. Inzwischen sind nämlich die Grenzen zu den Nachbarländern dicht. Am jordanischen Grenzübergang Jaber herrscht gespenstische Stille. Seit Wochen sei hier kein Syrer mehr durchgekommen, sagen die Grenzbeamten. „Unser Boot ist voll.“