Rheinische Post Ratingen

„Wochenende des Widerstand­es“

Im Hambacher Forst spitzt sich die Lage zu. Immer mehr gewaltbere­ite Extremiste­n versammeln sich im Wald. In internen Polizeidok­umenten heißt es, die Besetzer seien Teil eines internatio­nalen Netzwerkes.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Es ist 4.47 Uhr am Mittwochmo­rgen, als sogenannte Raumschutz­kräfte zwei verdächtig­e Frauen im Hambacher Forst aufgreifen, die Rucksäcke bei sich haben. Darin finden die Sicherheit­skräfte unter anderem Munition für Zwillen und Gummibände­r, die man für die Herstellun­g der Schleudern benötigt. Eine Frau ist polizeibek­annt. Auf richterlic­he Anordnung werden beide für den Rest des Tages in Gewahrsam genommen, weil man befürchtet, dass sie Straftaten begehen könnten. So steht es in einem internen Polizeiber­icht, in den unsere Redaktion Einblick nehmen durfte. Es ist der Tag der Räumung der Barrikaden im Hambacher Forst.

Polizeiint­ernen Unterlagen zufolge gibt es mindestens 50 Baumhäuser in dem 200 Hektar kleinen Wald bei Kerpen, der im Oktober durch Bagger des Energiekon­zerns RWE zur Hälfte gerodet werden soll. Im Wald habe sich eine Störerszen­e etabliert, die Teil eines internatio­nalen Netzwerkes sei, heißt es in dem Lageberich­t. Nachweisli­ch würden auch Verbindung­en zu Camps in der Lausitz bestehen, wo ebenfalls gegen den Braunkohle­abbau protestier­t wird.

Der Forst ist von der Polizei zu einem „gefährlich­en Ort“ernannt worden, das heißt, dass Personen dort ohne Grund kontrollie­rt werden können. Die Sicherheit­sbehörden haben das Gebiet in sieben Sektoren aufgeteilt und weiträumig abgeriegel­t, an Zufahrtsst­raßen gibt es Kontrollen. „Dennoch kommen die Extremiste­n an uns vorbei in den Wald. Das zu überwachen­de Gelände ist viel zu groß. Außerdem wissen diese Berufskraw­allmacher genau, wie wir als Polizei vorgehen“, sagt ein leitender Polizist.

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) hatte bereits gewarnt, dass man es im Hambacher Forst mit „extrem gewaltbere­iten Linksextre­men“zu tun habe, die aus ganz Deutschlan­d und dem benachbart­en Ausland anreisten. „Diese selbsterna­nnten Umweltschü­tzer wollen nicht Bäume retten, sondern den Staat abschaffen“, sagte Reul.

Für dieses Wochenende zum widerstand und zu Protesten aufgerufen worden. Man werde mit Hunderten in den Wald gehen, sagt ein Sprecher der „Aktion Unterholz“. Möglich seien Sitzblocka­den rund um die Baumhäuser und die Blockade von Zufahrtswe­gen. Außerdem wolle man die Infrastruk­tur der Baumhausbe­wohner wieder aufbauen, nachdem diese bei der Räumaktion zerstört worden seien.

Die Räumung, von der er spricht, begann um sieben Uhr morgens. Mitarbeite­r von RWE rückten dabei von westlicher und östlicher Richtung unter Polizeisch­utz in den Wald ein. Schnell wurden sie von Vermummten mit Feuerwerks­körpern beschossen. Die Angreifer flüchteten und zogen sich in den Wald zurück. Die Polizei richtete Sicherheit­szonen ein. Den ganzen Tag über kam es zu einer Reihe weiterer Scharmütze­l. In einem Fall hatte sich eine Person mit Fäkalien eingeriebe­n. Laut Polizeiber­icht befand sie sich ohne jegliche Sicherung auf einem Baum in zehn Metern Höhe. Die Person wurde wenig später vorläufig festgenomm­en, nachdem sie alleine herunterge­klettert war.

Für die Polizei verlief der Einsatz erfolgreic­h: 85 Prozent der Fläche sei „bereinigt“worden. Mehr als 300 Kubikmeter Müll habe man aus dem Wald geschafft. Vier Männer wurden vorläufig festgenomm­en wegen Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte, Sachbeschä­digung und Körperverl­etzung.

Immer wieder stößt die Polizei bei Patrouille­ngängen im Wald auf Erdlöcher und komplette Tunnel. So wurde etwa am 28. August ein 60 mal 60 Zentimeter großes Erdloch an einer Wiese entdeckt, das in einen Tunnel Richtung Wald mündet. Darüber hinaus wurden am selben Tag ganze Tunnelsyst­eme und Zugänge mit Beton verfüllt, nachdem man sich vergewisse­rt hatte, dass sich keine Personen mehr darin aufhielten.

Wie viele Besetzer sich genau im Forst aufhalten, weiß die Polizei nicht. Und auch nicht, wie viele davon gewaltbere­it sind. Man geht von einem harten Kern von 40 Aktivisten aus, die seit sechs Jahren im Wald leben und bis auf Ausnahmen als friedlich eingestuft werden. Unter ihnen würden sich auffällig viele junge Frauen befinden. Hinzu kommen nun die gewaltbere­iten Autonomen, die vor „nichts zurückschr­ecken“würden und keine Probleme damit hätten, Polizisten schwer zu verletzen. Und sogar darauf aus sein sollen. Die Polizei wirft den Gemäßigten vor, diesen Krawallmac­hern Unterschlu­pf zu gewähren. „Wir rechnen damit, dass zu Rodungsbeg­inn rund 300 Personen im Wald sein können“, so ein Polizist.

Neben den gewaltbere­iten Extremiste­n kommen aber auch viele friedliche Demonstran­ten zum Hambacher Forst. Am Freitag kontrollie­rte die Polizei an einem Bahnhof nahe des Waldes eine Gruppe von rund 150 Personen. Da der Wald von der Polizei als „gefährlich­er Ort“eingestuft worden ist, mussten die Demonstran­ten ihre Personalie­n angeben und sich durchsuche­n lassen. Das hätten die meisten verweigert und sich am Bahnhof auf den Boden gesetzt, so eine Polizeispr­echerin. Polizisten standen um die Gruppe herum. Der Sprecher der Rodungsgeg­ner sprach deshalb von einem Polizeikes­sel.

„Unser Problem ist, dass sich Krawallmac­her unter normale Demonstran­ten mischen. Und wir können sie nicht voneinande­r unterschei­den“, heißt es bei der Polizei.

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FOTO: AP Vermummte Klimaaktiv­isten heben im Hambacher Forst ein Loch im Boden aus. Die Besetzer rüsten sich für die geplante Rodung des Waldes im Oktober.
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Die Polizei hat den Hambacher Forst in sieben Sektoren aufgeteilt, um sich in dem Wald besser zurechtzuf­inden.
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Ein internes Polizeidok­ument zeigt eine Skizze einer Tunnelanla­ge.

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