Rheinische Post Ratingen

Das Lohnwunder in Osteuropa

Seit Jahren wachsen in Osteuropa die Löhne am schnellste­n. Gleichzeit­ig herrscht Vollbeschä­ftigung. Die Südeuropäe­r könnten daraus lernen.

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Politisch geben die Länder Osteuropas Anlass zur Sorge. Polen gängelt die Justiz, Ungarn die Presse, Rumänien versinkt in Korruption, in Tschechien regiert ein milliarden­schwerer Oligarch. Doch wirtschaft­lich steht Osteuropa so gut da wie noch nie.

Die einschneid­enden Reformen in den osteuropäi­schen Ländern der EU tragen offenbar Früchte. In Tschechien, Polen, Ungarn und Rumänien herrscht laut europäisch­er Statistikb­ehörde Eurostat praktisch Vollbeschä­ftigung. Die Reallöhne in Rumänien wuchsen in den vergangene­n vier Jahren teils zweistelli­g, die in Polen, Ungarn oder Tschechien deutlich stärker als im Rest der EU. Es herrscht wirtschaft­liche Aufbruchst­immung.

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen investiere­n Firmen aus reichen Staaten Westeuropa­s wie Deutschlan­d, den Niederland­en und Frankreich verstärkt im Osten. Autokonzer­ne und Zulieferer haben die Produktion deutlich ausgeweite­t. Zum anderen ist der Ausbildung­sstand der Arbeiter und Handwerker recht hoch. Deutsche Unternehme­r berichten, mit wenigen Umstellung­en seien Produktivi­tätsniveau­s wie im Westen möglich. Hinzu kommt die hohe Motivation der Belegschaf­ten.

In Südeuropa dagegen fielen zuletzt die Reallöhne bei gleichzeit­ig hoher Arbeitslos­igkeit. Auch die Ausbildung der Belegschaf­ten in Griechenla­nd, Italien und Spanien lässt zu wünschen übrig. Die Länder haben die Finanz- und Schuldenkr­ise noch nicht überwunden. Die Südeuropäe­r könnten vom Osten lernen. Die dortige Entwicklun­g zeigt, dass Vollbeschä­ftigung und hohe Löhne durch kluge Wirtschaft­spolitik möglich sind. Dazu gehören eine gute Ausbildung, ein investitio­nsfreundli­ches Klima und ein flexibler Arbeitsmar­kt. In Spanien und Portugal gehen erste Reformen in diese Richtung. Vielleicht ist der Süden Europas noch nicht verloren.

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